Tech-Giganten sind dank ihrer finanziellen Ressourcen in der Lage, Daten in großen Mengen zu erheben und zu analysieren. Das bringt für eine freie Forschung sowie für Gerechtigkeit und Solidarität große ethische Herausforderungen mit sich. Gelingt es aber, sie zu bewältigen, bieten die Aktivitäten der Großkonzerne ein enormes Potenzial, die Entwicklung eines innovativen Lernenden Gesundheitssystems voranzutreiben. In unserem Auftrag hat ein Team unter Leitung der Ethikerin Prof. Christiane Woopen die verschiedenen Perspektiven und möglichen Ansätze analysiert. 


Tech-Giganten haben das, was notwendig ist, um auch im Bereich der Gesundheitsversorgung disruptiv zu wirken: einen schier unerschöpflich scheinenden Quell finanzieller Mittel, Berge von gesundheitsbezogenen Daten sowie technische Ressourcen und jede Menge KI-Expertise. Das macht sie zu Vorreitern in der Forschung und Entwicklung von KI-basierten Lösungen und lernenden algorithmischen Systemen, mit deren Hilfe sich große Datensätze analysieren lassen. Tencent beispielsweise erforscht mit dem Tencent Medical AI Lab neue digitale Biomarker, um Krankheiten zu erkennen und vorherzusagen. Apple stellt mit HealthKit, ResearchKit und CareKit Open Source Software Development Kits (SDKs) bereit, die die Entwicklung von Anwendungen für das Smartphone u.a. im Forschungsbereich unterstützen sollen. 

Mithilfe von Innovationen wie diesen lassen sich medizinische Erkenntnisse in einer bisher nie gesehenen Geschwindigkeit und Komplexität gewinnen. Das bietet auch für die Gesundheitsversorgung enorme Chancen:

  • Daten aus der Gesundheitsversorgung lassen sich systematisch im großen Stil auswerten.
  • Komplexe medizinische bzw. gesundheitliche und epidemiologische Phänomene wie etwa Pandemien, Volkskrankheiten und Seltene Erkrankungen lassen sich besser erforschen; Vorhersagen werden verlässlicher.
  • Nutzen und Risiken medizinischer Maßnahmen in Prävention, Diagnostik sowie Therapie lassen sich besser abschätzen.
  • Die alltägliche Gesundheitsversorgung lässt sich zunehmend mit der Gesundheitsforschung verzahnen – und ein kontinuierlich Lernendes Gesundheitssystem kann entstehen.

Die Voraussetzungen: Einerseits müssen Anreize und Pflichten geschaffen werden, damit Tech-Giganten ihre Datenberge beispielsweise aus der Nutzung von Wearables, Sensoren und Co. etwa mit Forschungseinrichtungen zu teilen. Andererseits ist für die Entwicklung eines Lernenden Gesundheitssystems ein von der Politik implementiertes strategisches Vorgehen sowie eine Governance notwendig. Diese sollten einen Kreislauf des Lernens ermöglichen, in dem die Daten aus der alltäglichen Versorgung wissenschaftlich ausgewertet werden und wissenschaftliche Erkenntnisse zügig in die Verbesserung der Versorgung eingeführt werden.

Gleichwohl geht der Wandel hin zu einem Lernenden Gesundheitssystem, in dem Tech-Giganten eine wichtige Rolle einnehmen, auch mit einer Vielzahl von Herausforderungen einher. Diese gilt es zu bewältigen, um die Chancen aus den Aktivitäten der Tech-Giganten nutzen zu können.

Zentrale Fragen lauten demzufolge: Wer darf Zugriff auf die Datenberge der Tech-Giganten haben? Wie lassen sich die Zugangsbedingungen unter Berücksichtigung ethisch relevanter Prinzipien und Werte wie etwa Gerechtigkeit und Solidarität regeln? Wie kann die wissenschaftliche Qualität bei der Erhebung und Verarbeitung der Daten gewährleistet werden?

Bisher werden die Prinzipien eines transparenten Umgangs mit Forschungsdaten von den Tech-Giganten nur unzureichend erfüllt. Insbesondere private Unternehmen betrachten und behandeln die von ihnen erhobenen Daten als ihr Eigentum und weisen externe Nutzungsanfragen oder Einblicke in die Datengrundlage für algorithmische Systeme häufig unter Hinweis auf „Firmengeheimnisse“ ab. Zugleich birgt die Weitergabe von Versorgungsdaten zu Forschungszwecken Risiken in Bezug auf Privatsphäre und Sicherheit von personenbezogenen Gesundheitsdaten.

Das sind nur einige der Probleme, die sich im Umgang mit den Aktivitäten der Tech-Giganten im Forschungssektor ergeben. Damit öffentliche und private Forschungsaktivitäten zielgerichtet miteinander kooperieren und ein kontinuierlich Lernendes Gesundheitssystem entstehen kann, sind der Studie zufolge sowohl eine politische Strategie sowie klare Regelungen für alle beteiligten Stakeholder notwendig. Diese haben für die Wissenschaft und die Öffentlichkeit eine essenzielle Bedeutung: Dabei geht es insbesondere darum, der zunehmenden Entstehung unzugänglicher Datensilos und damit der Privatisierung und Kommerzialisierung der Wissenserzeugung zu entgegnen und die schiere Menge an wertvollen Daten dem Gemeinwohl, im Einklang mit der Freiheit der Forschung sowie der Zugangs- und Verteilungsgerechtigkeit zur Verfügung zu stellen.

Welche weiteren Herausforderungen zu bewältigen sind und welche Handlungsempfehlungen sich daraus ableiten lassen, können Sie ausführlich in unserer Studie „Tech-Giganten im Gesundheitswesen“ nachlesen.