Im Auftrag der Kassenärztlichen Bundesvereinigung hat Sebastian Schmidt-Kaehler von der Patientenprojekte GmbH eine qualitative Studie zu Erfahrungen, Erwartungen und Nutzungsmustern von Patienten in Deutschland durchgeführt. In vier deutschen Großstädten diskutierte unser ehemalige Kollege in Fokusgruppen mit Bürgern und Patienten aus allen Altersgruppen. Die Studie wurde bereits im vergangenen Jahr unter dem Titel „Patientenperspektiven 2017“ publiziert und beschäftigt sich an vielen Stellen auch mit Fragen, die uns im Projekt „Der digitale Patient“ bewegen – etwa im Kontext unserer Studie zu „Dr. Google“ oder unserer Analysen zum Transfer von Gesundheits-Apps in den Versorgungsalltag. Wir haben Sebastian Schmidt-Kaehler für unseren Blog befragt, wie Patienten über Online-Gesundheitsinformationen, Video-Sprechstunden und Gesundheits-Apps denken.


Wie haben die Teilnehmer der Fokusgruppen das Internet im Kontext Gesundheit genutzt?

Dr. Sebastian Schmidt-Kaehler (Foto: Michael Fuchs, Remseck)Schmidt-Kaehler: „Meistens ging es in den Schilderungen um die klassische Informationsrecherche oder den Erfahrungsaustausch in sozialen Netzwerken. Digitale Dienstleistungen und Anwendungen, die zum Beispiel das persönliche Gesundheits- und Krankheitsmanagement unterstützen, wurden kaum erwähnt. Das Themenspektrum der gesuchten Informationen reichte von Tipps für eine gesunde Lebensweise über Patientenrechte und Versorgungsstrukturen bis hin zu einzelnen Erkrankungen und Behandlungsmethoden. Die Teilnehmer hatten sich im Netz auch ärztliche Zweitmeinungen geholt, sich über Leistungsansprüche informiert, Krankenhäuser verglichen oder auch nach Einrichtungen der Notfallversorgung gesucht.

Im Mittelpunkt der Gruppendiskussionen stand aber der Arztbesuch: Hier berichteten die Teilnehmer, dass sie im Nachgang Informationen zu ihrer Erkrankung und den in Frage kommenden Behandlungsverfahren ausgewertet, sich über die verordneten Arzneimittel informiert und unverständliche Begriffe mit Hilfe des Internets in Laiensprache übersetzt haben. Im Gesprächsverlauf räumte ein großer Teil dann auch ein, bereits im Vorfeld des Arztbesuchs im Netz nach möglichen Diagnosen zu suchen.“

Unsere Studie zu „Dr. Google“ hat gezeigt, dass Online-Gesundheitsinformationen noch zu selten Thema in der Arztpraxis sind. Wie haben die Teilnehmer der Fokusgruppen das im Netz erworbene Wissen in den Arzt-Patienten-Kontakt eingebracht?

Schmidt-Kaehler: „Auch die Ergebnisse der Fokusgruppen liefern deutliche Hinweise darauf, dass viele Patienten in Deutschland gewissermaßen ‚heimlich‘ surfen. Sie begeben sich in ärztliche Behandlung und verraten nichts von einer im Netz recherchierten Verdachtsdiagnose. Im Anschluss der Behandlung kommen sie dann mit Hilfe des Internets zu einer retrospektiven Bewertung der ärztlichen Empfehlungen. Dann wird entschieden, ob sie die verschriebenen Medikamente einnehmen, die Verordnung einlösen oder vielleicht sogar die Therapie eigenmächtig abbrechen. Der Arzt erhält so keine Möglichkeit, mögliche Widersprüche aufzulösen oder Bedenken aus dem Weg zu räumen. Das sollte ärztlicherseits Ansporn sein, die Recherche nach Gesundheitsinformationen im Gespräch mit den Patienten aktiv anzusprechen und einzubeziehen. Darin liegt – positiv gewendet – eine Chance für die Arzt-Patienten-Beziehung und die Behandlung.“

Unsere Befragung zu Video-Sprechstunden hat im Jahr 2015 ergeben, dass sich fast jeder zweite Bürger vorstellen kann, eine solche zumindest in ausgewählten Fällen zur Kommunikation mit dem Arzt zu nutzen. Hat sich dieses Bild bei den Teilnehmern bestätigt?

Schmidt-Kaehler: „Über die genaue Verteilung der Meinungsbilder innerhalb der Bevölkerung lässt sich auf Basis der qualitativen Studie keine gesicherte Aussage treffen. Es ergibt sich aber durchaus ein ähnliches Bild. Die Äußerungen der Diskussionsteilnehmer lassen sich auf drei Positionen herunterbrechen: Es gab klare Befürworter der Video-Sprechstunde. Für sie stand die Zeitersparnis durch einen Wegfall der Weg- und Wartezeiten klar im Vordergrund. Die Kritiker hingegen befürchteten eine Gefährdung der Patientensicherheit durch den Wegfall der körperlichen Untersuchung. Sie fürchteten außerdem, dass das Arzt-Patienten-Verhältnis unter der mediengestützten Kommunikation leiden könnte und äußerten massive Bedenken bezüglich der Datensicherheit.

Neben diesen beiden Gruppen der Kritiker und Befürworter ließ sich noch eine dritte Gruppe der Unentschlossenen beschreiben: Sie würden eine Video-Sprechstunde nur unter bestimmten Bedingungen befürworten. So sollte eine Diagnosestellung im Netz auch weiterhin ausgeschlossen und die Datensicherheit auf höchstmöglichem Standard gewährleistet werden. Vor allem aber sollte die Wahlentscheidung zwischen einem Besuch in der Arztpraxis und der Video-Konsultation zu jeder Zeit beim Patienten verbleiben. Die Video-Sprechstunde dürfte also zu keinem Zeitpunkt der einzige Weg sein, um den Arzt zu konsultieren.“

Was hielten die Teilnehmer von Gesundheits-Apps, wie sah ihr Nutzungsverhalten aus?

Schmidt-Kaehler: „Bei den Gesundheits-Apps zeigte sich ein geteiltes Meinungsbild. Zunächst fiel aber auf, dass die meisten Teilnehmer vor allem Fitness- und Wellness-Apps vor Augen hatten. Viele von ihnen hatten schon Erfahrungen mit Fitness-Trackern oder auch Ernährungs-Apps gesammelt. Die Befürworter dieser Anwendungen gaben auch an, dass die Apps sie motivierten, sich mehr zu bewegen und gesünder zu ernähren. Die Vorstellung, dass solche Anwendungen auch den Umgang mit einer Erkrankung unterstützen oder möglicherweise sogar eine medizinische Wirkung entfalten könnten, fiel einigen Teilnehmern zunächst aber sehr schwer.

Den Anwendern und Befürwortern von Gesundheits-Apps stand eine große Gruppe von Skeptikern gegenüber, die vor allem die schlechte Qualität gemessener Gesundheitsdaten und den häufig sehr weitreichenden Zugriff der Apps auf persönliche Daten anprangerten. Sie fühlten sich durch die Apps zudem weniger motiviert als vielmehr überwacht und kontrolliert. In der Gesamtschau der geäußerten Bedenken und Befürchtungen zeigten sich deutliche Zweifel an der Seriosität und Verlässlichkeit der Anwendungen.“

Was müsste aus Sicht der Teilnehmer passieren, damit das Vertrauen in Gesundheits-Apps steigt?

Schmidt-Kaehler: „Die Lösung ist eigentlich ganz einfach: Auch die Skeptiker konnten sich vorstellen, eine Gesundheits-App zu nutzen, wenn diese entweder vom Arzt verordnet oder von der Krankenkasse finanziert würde. Das Vertrauen wäre also dann gegeben, wenn die Anwendung von einer übergeordneten, kompetenten Instanz ausgewählt und empfohlen wird.“


Dr. Sebastian Schmidt-Kaehler ist geschäftsführender Gesellschafter der Patientenprojekte GmbH und berät Akteure des Gesundheitswesens zur Rolle des Patienten. Er war von 2011 bis 2015 Geschäftsführer der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland und zuvor Senior Project Manager in der Bertelsmann Stiftung. Schmidt-Kaehler hat an der Universität Bielefeld zum Thema „Gesundheitsberatung im Internet“ promoviert. Er ist Mitglied in zahlreichen Gremien, unter anderem im Expertenrat zum „Nationalen Aktionsplan Gesundheitskompetenz“ für Deutschland und im Kuratorium der Weisse Liste gGmbH, einer Tochtergesellschaft der Bertelsmann Stiftung.


Die vollständige Studie „Patientenperspektiven 2017 − qualitative Studie zu Erfahrungen, Erwartungen und Nutzungsmustern“ können Sie unter diesem Link auf der Website des Kassenärztlichen Bundesvereinigung abrufen (PDF, 2,8 MB).


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