Mit EU4Health als Antwort auf die Corona-Pandemie hat die EU ein ehrgeiziges Gesundheitsprogramm an den Start gebracht. Nun liegen darüber hinaus auch die Vorschläge für eine europäische Gesundheitsunion auf dem Tisch, die unter anderem mithilfe von EU4Health finanziert werden soll. Doch wie sehen das EU4Health-Programm und das Vorhaben zur Gründung einer EU-Gesundheitsunion im Detail aus? Die Rolle der Digitalisierung im Gesundheitswesen scheint dabei weiterhin begrenzt zu sein. Ein Überblick über die inhaltlichen Schwerpunkte von EU4Health und der Gesundheitsunion.


„Wir haben die Abwehrkräfte Europas gestärkt und gemeinsam die Lehren aus der Pandemie gezogen.“ Das ist die positive Bilanz zur deutschen Ratspräsidentschaft, die Bundesgesundheitsminister Jens Spahn anlässlich einer Ratssitzung der EU-Gesundheitsminister Anfang Dezember 2020 zog. In der Krise stehe die EU fest zusammen. „Wir produzieren, beschaffen und verteilen Covid-19-Impfstoffe gemeinsam. Wir helfen uns gegenseitig bei der Versorgung von Patientinnen und Patienten und wir vernetzen uns mit unseren Warn-Apps“, so der Politiker.

Die Zusammenarbeit der europäischen Mitgliedsstaaten in puncto Gesundheit aber soll darüber hinausgehen als nur in Krisenzeiten „zusammenzustehen“: Die Rede ist von einer europäischen Gesundheitsunion.

EU-weite Gesundheitspolitik: lange Zeit schwach und fragmentiert

In den Anfangsjahren der Europäischen Gemeinschaft stand noch der grenzüberschreitende Krankenversicherungsschutz im Vordergrund. Das führte schließlich dazu, dass die Europäer mit der Europäischen Gesundheitskarte in allen Mitgliedsstaaten leichter Gesundheitsdienstleistungen in Anspruch nehmen können, sei es etwa im Urlaub, im Studium oder als Rentner. Ende der 1990er Jahre sorgte dann die BSE-Krise dafür, dass die Mitgliedsstaaten eine weitere Frage auf der Agenda hatten: Wie lassen sich Gesundheitsgefahren, die vor Ländergrenzen keinen Halt machen, gemeinsam abwehren?

Das Problem: Während die EU bei der Ausgestaltung des Binnenmarkts seit jeher über starke Kompetenzen verfügt, ist der Bereich der Gesundheitspolitik auf EU-Ebene nach Art. 168 AEUV eher schwach ausgestattet. Der Grund: Bei der Gesundheitsversorgung geht es überwiegend um nationalstaatliche Planung von Kapazitäten und Daseinsvorsorge.

Die EU dagegen spielt nur eine ergänzende und koordinierende Rolle, innerhalb der EU-Kommission mit einer vergleichsweise kleinen Generaldirektion ausgestattet: Viele Themen mit Gesundheitsbezug sind bei anderen Generaldirektionen aufgehängt, wie beispielsweise der Bereich E-Health, der auch in der Generaldirektion für Kommunikationsnetze und Technologien angesiedelt ist. Somit gibt es bisher nicht „die eine europäische Gesundheitspolitik“, sondern stattdessen eher viele fragmentierte gesundheitspolitische Programme in verschiedenen Bereichen.

Zwar nimmt die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) durch ihren Bezug zum europäischen Binnenmarkt eine wichtige Rolle bei der europaweiten Marktzulassung von Medikamenten ein, doch in puncto Abwehr von grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren sind die Zuständigkeiten der EU bisher noch relativ begrenzt. Im Gegensatz zur EMA hat das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) keine Regelungsbefugnis und stellt für die Mitgliedsstaaten bisher lediglich aktuelle Daten, Wissen und Warnungen zu aktuellen Ausbrüchen oder anderen Gesundheitsgefahren bereit und koordiniert die Vernetzung der mitgliedstaatlichen Behörden.

Fünf Milliarden Euro für eine „gesündere Europäische Union“

Mehr als zwanzig Jahre nach der BSE-Krise hat die weltweise Ausbreitung des Coronavirus aber nun gezeigt, wie wichtig eine europäische Zusammenarbeit ist. Als gesundheitspolitische Antwort auf die Covid-19-Pandemie schlug die EU-Kommission deshalb im Mai 2020 vor, das Programm „EU4Health – eine Vision für eine gesündere Europäische Union“ zu schaffen: Dieses soll über eine reine Krisenreaktion hinausgehen und als Arbeitsprogramm mit der darüber hinaus geplanten Europäischen Gesundheitsunion verzahnt werden.

Anfang November 2020 stellte die EU-Kommission die ersten Schritte hin zu einer solchen Union vor. Im Mittelpunkt steht die Neugestaltung des geltenden rechtlichen Rahmens für „schwerwiegende grenzüberschreitende Gesundheitsgefahren.“ Dazu zählen Bedrohungen etwa durch den Ausbruch von Pandemien oder durch die fortschreitende Verbreitung von Resistenzen gegen Antibiotika.

Doch wie sehen das EU4Health-Programm und das Vorhaben zur Gründung einer EU-Gesundheitsunion im Detail aus? Wie stehen diese im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip? Und welche Vorteile kann eine solche Union auf der Gesundheitsebene tatsächlich mitbringen – aber auch welche möglichen Nachteile? Im Auftrag der Bertelsmann Stiftung hat die Bonner Gesellschaft für Kommunikations- und Technologieforschung empirica einen Überblick erarbeitet.

Ursprünglich hatte die EU-Kommission 2020 ein Budget von knapp zehn Milliarden Euro für EU4Health vorgeschlagen. Schließlich einigten sich Rat und EU-Parlament auf 5,3 Milliarden Euro, die für das Programm zwischen 2021 und 2027 vorgesehen sind. Damit ist EU4Health 10-mal so groß wie das vorhergehende Gesundheitsprogramm.

Kern des Programms EU4Health ist ein wesentlicher Beitrag zur Erholung nach der Pandemie sowie die Stärkung der Gesundheitssysteme. Dabei verfolgt das Programm vier Hauptziele:

  1. Die Verbesserung des allgemeinen Gesundheitsniveaus in den Mitgliedsstaaten
  2. Den Schutz der Menschen in der EU vor schwerwiegenden grenzüberschreitenden Gesundheitsbedrohungen und Verbesserung der Krisenmanagementkapazitäten
  3. Die Bereitstellung von Arzneimitteln und Medizinprodukten
  4. Die Stärkung der Gesundheitssysteme der Mitgliedsstaaten

EU4Health soll zudem die Initiativen, der von der Kommission von der Leyen vorgeschlagenen Gesundheitsunion finanziell unterstützen, denn im Gegensatz zu regulären Förderprogrammen wird diese nicht mit eigenen Finanzmitteln ausgestattet. Die Strategie der Gesundheitsunion basiert auf drei Kernsäulen:

  1. Die Verbesserung der Krisenvorsorge und Krisenreaktion
  2. Eine gemeinsame Arzneimittelstrategie
  3. Einen europäischen Plan gegen Krebs

Den Plänen der EU-Kommission zufolge soll dafür unter anderem die Aufwertung der ECDC sowie der EMA im Zentrum stehen: Beide EU-Agenturen sollen künftig stärkere Mandate haben und weitere Funktionen ausüben. Zusätzlich ist die Gründung einer neuen Agentur vorgesehen – der Health Emergency Authority, kurz HERA. Diese Behörde soll die nationalen Gesundheitsstrategien ergänzen und Europa für eine bessere Krisenvorsorge als auch für eine schnellere Reaktion auf gesundheitliche Notlagen wappnen.

Die groben Pfeiler der zukünftigen europäischen Gesundheitspolitik sind gesteckt – doch viele Fragen sind noch offen

Offen ist noch, wie die Gesundheitsunion ihre drei Hauptinitiativen in konkrete Maßnahmen und Arbeitsprogramme umsetzen wird – und wie dabei die Budgetzuteilung erfolgen soll. Schließlich gibt es zwischen der Gesundheitsunion und EU4Health inhaltlich wesentliche Überschneidungen. Als Gesundheitsprogramm zahlt EU4Health auf viele Aspekte der Strategie der Gesundheitsunion ein.

Zudem ist derzeit noch unklar, wie eine mögliche Doppelung bürokratischer Mechanismen und mögliche Zielkonflikte zwischen der Gesundheitsunion und EU4Health vermieden werden können. Bisher stellen die offiziellen EU-Quellen nur wenige direkte Verbindungen zwischen dem Gesundheitsprogramm EU4Health und der Strategie europäische Gesundheitsunion her. Darüber hinaus wird die Gesundheitsunion nicht mit eigenen Finanzmitteln ausgestattet: sie wird aus den verschiedenen Förderprogrammen (Horizont Europa, ESF, Kohäsionsfonds) der EU umgesetzt und bezahlt. Dabei können die Kommission und die Mitgliedsstaaten von unterschiedlichen Töpfen Gebrauch machen. EU4Health wiederum wird einen erheblichen finanziellen Beitrag zu den drei Säulen der Gesundheitsunion leisten.

Langsame Fortschritte bei Digital Health

Abzuwarten bleibt auch, welchen strategischen Plan die Initiativen von Gesundheitsunion und EU4Health hinsichtlich der Digitalisierung von Gesundheitssystemen und E-Health verfolgen werden. Das Beispiel Corona-Warn-App zeigt, wie essenziell eine Koordination auf EU-Ebene ist: Inzwischen sind zwar Warn-Apps verschiedener Mitgliedsstaaten in der Lage, im Sinne einer Pandemiekontrolle Daten untereinander auszutauschen. Bisher ist das aber nur für sechs EU-Länder möglich. Und auch Projekte wie das grenzüberschreitende E-Rezept oder die elektronische Notfallakte für EU-Bürgerinnen und -Bürger auf Reisen kommen ebenfalls nur langsam voran.

Fest steht zwar, dass der Aufbau der digitalen Dienste-Infrastruktur „MyHealth@EU“ für das Empowerment von Patientinnen und Patienten vorangetrieben werden soll. Ebenso sind Investitionen geplant, um einen Europäischen Gesundheitsdatenraum zu schaffen, der den grenzüberschreitenden Datenaustausch ermöglichen soll: das European Health Data Space, kurz EHDS. Dieses soll das Potenzial der digitalen Gesundheit für eine bessere Gesundheitsversorgung ausschöpfen. Doch mit Stand März 2021 war noch kein Arbeitsplan veröffentlicht, sodass unklar ist, welche konkreten Maßnahmen im Detail finanziell gefördert werden sollen. Erst in einigen Wochen wird die Ausarbeitung dazu erwartet.

Das Subsidiaritätsprinzip muss gewahrt werden

Der Aufbau einer Gesundheitsunion könnte ein wesentlicher Schritt weg von fragmentierten gesundheitspolitischen Ansätzen, hin zu einer kohärenteren europäischen Gesundheitspolitik sein. Darüber hinaus würde aber eine solche Gesundheitsunion, die bis dato eingeschränkte Gestaltungskompetenz der EU aufwerten. Dabei gilt es aber, das Subsidiaritätsprinzip zu beachten: Die Rolle der EU im Bereich des Gesundheitsschutzes beschränkt sich grundsätzlich laut dem Vertrag von Lissabon darauf, die Politik der Mitgliedstaaten lediglich zu ergänzen. Zwar koordinieren die Mitgliedstaaten ihre Maßnahmen in Zusammenarbeit mit der Kommission – aber „unter Ausschluss jeglicher Harmonisierung.“ Zu klären ist deshalb noch, inwiefern die Ausweitung von EU-Kompetenzen dem Subsidiaritätsprinzip möglicherweise entgegensteht. Trotzdem sollte hieraus nicht automatisch der Ruf nach einer Änderung der europäischen Verträge erfolgen, dieses Vorhaben wäre politisch schwierig umzusetzen und angesichts der Besonderheiten der nationalen Gesundheitssysteme und deren Einbettung in die jeweiligen nationalen, sozialstaatlichen Rahmensetzungen auch wenig sinnvoll. Im Sinne des Subsidiaritätsprinzips sollte die EU vielmehr aus ihrer koordinierenden, unterstützenden Rolle proaktiv das bestmögliche, praxisbezogene Kapital schlagen.

Im Detail sind viele konkrete Fragen zur Gesundheitsunion aktuell noch Gegenstand politischer Verhandlungen. Unklar ist beispielsweise noch, ab wann und unter welchen genauen Voraussetzungen ein vorgeschlagener EU-weiter „Notstand“ ausgerufen werden kann. Auch die Potenziale von E-Health sowie die Pläne zum Europäischen Gesundheitsdatenraum EHDS müssen noch weiterentwickelt und jene Verbesserungen auch wirklich umgesetzt werden, die aus Bürgersicht hinsichtlich E-Health geplant sind, wie etwa eine länderübergreifende Notfallakte.

Insgesamt aber bieten die europäischen Bemühungen zur Ausgestaltung einer Gesundheitsunion sowie die weitreichende Ausweitung des bestehenden Gesundheitsprogramms mit EU4Health eine Reihe von Potenzialen hin zu einer besseren Koordinierung und Konsolidierung der gemeinschaftlichen gesundheitspolitischen Aktivitäten – nicht nur in Krisenzeiten: die Gesundheitsunion bietet die Chance, die Vielzahl bereits existierender Teilstrategien zu Gesundheit, Digitalisierung und E-Health auf EU-Ebene durch einen neuen Prozess zu ordnen und gesundheitspolitische Ziele mit den geplanten Strategien zum Datenaustausch und zur Digitalisierung in Einklang zu bringen – und so letztlich die Vision der EU-Kommission hin zu einer „gesünderen EU“ tatsächlich voranzutreiben. Ob das aber wirklich gelingen wird, lässt sich derzeit noch nicht vorhersagen. Wir sollten daher einen genauen Blick darauf haben, wie sich Projekte wie der Europäische Datenraum oder die Pläne zum Empowerment europäischer Patienten entwickeln.


 

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