Nicht die erste, aber die beste sollte sie sein – inzwischen verzeichnet sie 26 Millionen Downloads: die Corona-Warn-App (CWA). Um herauszufinden, unter welchen Voraussetzungen die Einführung einer digitalen Gesundheitslösung für die breite Bevölkerung gelingen kann und wie sich die Akzeptanz dafür steigern lässt, haben wir das Meinungsforschungsinstitut Kantar beauftragt, eine repräsentative Umfrage von Smartphone-Nutzern durchzuführen – und anschließend aus den Ergebnissen die wichtigsten Lehren für die Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) destilliert. 


Seit Januar haben alle gesetzlich Versicherten in Deutschland Anspruch auf eine elektronische Patientenakte ihrer Krankenkasse. Doch bisher findet das Angebot kaum Beachtung. Eine Anfrage des Bayerischen Rundfunks bei den vier größten Kassen bestätigte: Jeweils weniger als ein Prozent der Versicherten nutzen sie. Trotz einiger Kontroversen vor dem Start steht es um die Nutzung der Corona-Warn-App besser: Mitte Juni wurde sie veröffentlicht. Nur eine Woche danach hatten bereits knapp zwölf Millionen Menschen sie auf ihrem Smartphone installiert. Inzwischen sind es immerhin 26 Millionen  Downloads. 

Wir haben uns gefragt: Kann man aus der Einführung einer digitalen Anwendung wie der Corona-Warn-App etwas für die Implementierung der elektronische Patientenakte lernen? Um mehr über die Voraussetzungen für die Akzeptanz der Corona-Warn-App zu erfahren, hat das Meinungsforschungsinstitut Kantar im Auftrag der Bertelsmann Stiftung Anfang Dezember 2020 eine repräsentative Befragung von 1.017 Smartphone-Nutzerinnen und -Nutzern durchgeführt. Die Ergebnisse dieser Umfrage haben wir in einem Experten-Workshop mit Vertreterinnen und Vertretern aus Wissenschaft, Verbänden, Krankenkassen, Ärzteschaft und Datenschutz diskutiert. Welche Schlussfolgerungen sich daraus ableiten lassen, haben wir in unserem aktuellen Spotlight „ePA-Einführung: Lehren aus den Erfahrungen mit der Corona-Warn-App“ zusammengefasst. 

Die Kernergebnisse in Kürze:

  • Der Schlüssel zur Akzeptanz von digitalen Gesundheitslösungen ist eine rasche individuelle Nutzenerfahrung: Am besten lassen sich Anwender gewinnen, wenn diese einen konkreten Nutzen für sich erfahren. 
  • Die Bevölkerung hat prinzipiell eine hohe Bereitschaft, Gesundheitsdaten zu teilen, sofern der Zweck als sinnvoll erachtet wird. 
  • Die Bereitschaft, Daten zu teilen, lässt sich durch kluge Grundeinstellungen mit einer Widerspruchsoption fördern, also wenn Nutzerinnen und Nutzer die Datenhoheit behalten und das Teilen von Daten individuell deaktivieren können (Opt-out). 
  • Der stufenweise Ausbau der ePA-Funktionalitäten sollte transparent kommuniziert werden, um keine falschen Erwartungen zu wecken und Frustration zu vermeiden. 
  • Als Anbieterinnen der ePA sollten insbesondere Krankenkassen die Phasen der Einführung proaktiv kommunizieren. 

Die Umfrage zeigt: Einerseits steigen Download-Zahlen der Corona-Warn-App mit zunehmender IT-Kompetenz der Nutzer sowie deren Grad an Erfahrungen mit anderen digitalen Gesundheitsanwendungen. Andererseits orientieren sie sich insbesondere an den nützlichen Funktionalitäten: Der wichtigste Grund, sich die App herunterzuladen, war, damit eigene Kontakte warnen zu können (91%), aber auch einen Beitrag zur Pandemiebewältigung zu leisten (90%). Bei denen, die die App nicht heruntergeladen haben, war der fehlende individuelle Nutzen der Hauptgrund (52%). 

Auch bei der Einführung der ePA sollte die Alltagstauglichkeit ihrer Funktionen im Zentrum stehen. Dafür sollten Nutzerinnen und Nutzer sowohl auf der Patienten- als auch auf der Ärzteseite in die Entwicklung und Priorisierung aktiv einbezogen werden, denn nur so lassen sich die Funktionalitäten herauskristallisieren, die den Anwendenden einen echten Mehrwert bieten. 

Unmittelbarer Alltagsnutzen entscheidet über Akzeptanz

Zwar zeigt die Umfrage ebenso, dass insbesondere Menschen mit höherem Einkommen und Bildungsabschluss die Corona-Warn-App nutzen und diese Gruppe demnach vermutlich generell digital affiner ist. Aber anstatt erst nach möglichen Wegen zu suchen, diesen sozioökonomischen Effekt zu korrigieren, erscheint es insbesondere zu Beginn der ePA-Einführung sinnvoller, auf diese Gruppe als „Early Adopters“ zu setzen – also auf jene, die solchen digitalen Angeboten prinzipiell offen stehen und als „Multiplikatoren“ für eine Anwendung fungieren können. 

Konkret bedeutet das für die ePA, in der Startphase sich vor allem auf jene Funktionalitäten zu fokussieren, die in dieser Gruppe einen besonderen Nutzen und Alltagsvorteile versprechen. Beispielsweise die Integration des eRezepts in die ePA, was insbesondere Berufstätigen eine Erleichterung bieten dürfte. Nach und nach lassen sich dann auch jene Funktionen fokussiert weiterentwickeln, die für Gruppen mit einem hohen Versorgungsbedarf besonders relevant sind: Etwa der elektronische Medikationsplan für chronisch Kranke oder der damit verknüpfte Arzneimittelcheck, der auch für Ältere, die viele verschiedene Medikamente einnehmen müssen, einen hohen Nutzwert haben kann. 

Außerdem kann die ePA dann einen hohen individuellen Mehrwert für Anwendende haben, wenn sie Schnittstellen in bereits genutzte spezielle digitale Gesundheitsanwendungen bietet: So könnte beispielsweise ein Patient mit Diabetes sehr davon profitieren, wenn Daten aus seiner Diabetes-App automatisch mit seiner ePA synchronisiert würden. 

Große Bereitschaft zum Datenteilen, wenn die Letztkontrolle gewahrt bleibt

Die Umfrage zur Nutzung der Corona-Warn-App legt zudem nahe, dass die Bereitschaft, Gesundheitsdaten zu teilen, sehr hoch ist: 62 Prozent jener, die die App installiert haben, wären grundsätzlich bereit, ein positives Testergebnis automatisch weiterzuleiten. Von denjenigen, die die App nicht installiert haben, sagen das nur 22 Prozent – weitere 31 Prozent würden es tun unter der Voraussetzung, dass sie diese Funktion deaktivieren (Opt-out) können. Datensouveränität scheint hier eine wichtige Voraussetzung für die Bereitschaft zu sein, Daten zu teilen. 

Dieser Befund lässt ich auch auf die ePA und ihre Möglichkeiten, Daten zu nutzen, übertragen: Versicherten sollte das Teilen von Daten leicht gemacht werden. Dabei müssen sie schnell erfassen können, zu welchem Zweck sie dies tun und welchen Nutzen sie selbst oder die Gesellschaft, also etwa die Forschung, davon haben. Zudem müssen sie die Kontrolle darüber behalten, wer Zugriff auf ihre Daten haben darf, und auf einfache Weise nachvollziehen können, wer Nutzungsrechte an ihren Daten haben kann, wie etwa Forschungseinrichtungen oder Krankenkassen. Voraussetzung: transparente gesetzliche Rahmenbedingungen, die im Einklang mit Datenschutz- und -sicherheit stehen. 

Nutzenerwartung kommunikativ nicht zu hoch schrauben

Eine weitere wesentliche Erkenntnis aus den Erfahrungen der Corona-Warn-App: Die Frustration über eine digitale Lösung kann groß sein, wenn die geweckten Erwartungen an sie hoch sind und sich nicht erfüllen oder erst viel später einlösen lassen. Probleme bei der digitalen Übermittlung von Corona-Testergebnissen oder zurückhaltende Einschätzungen seitens der Gesundheitsämter über das Potenzial der CWA bei der Kontaktverfolgung sorgten angesichts der besonders hohen Entwicklungskosten bei vielen für Enttäuschung.  

Für die ePA bedeutet das: Nur wenn sie auch wirklich funktioniert und das leistet, was von ihr erwartet wird, wird sie auf eine breitere Akzeptanz stoßen. Dazu gehört auch, dass Krankenkassen als Anbieterinnen der Anwendung ihre Versicherten bei der Nutzung kommunikativ dauerhaft begleiten und dazu motivieren – idealerweise in Abstimmung mit anderen relevanten Akteuren wie Ärzteschaft oder Verbraucher- und Patientenverbänden. So sollten Kassen beispielsweise ePA-Nutzerinnen und – nutzer proaktiv über wesentliche Updates informieren und darüber, welche Verbesserungen oder neuen Funktionalitäten es mit sich bringt. Fest steht: Digitale Lösungen sind stets „Work in Progress“ – man muss versuchen, die Nutzerinnen und Nutzer, soweit es irgend geht, auf diesem Weg mitzunehmen. 

 


  • Das Spotlight Gesundheit zu den lessons learned für die ePA ist hier erhältlich. 
  • Das Factsheet mit den Umfrageergebnissen zur Corona-Warn-App kann hier heruntergeladen werden.