In unserer Studie #SmartHealthSystems analysieren wir 17 Länder zum Stand der Digitalisierung im Gesundheitswesen. Fünf Länder davon haben wir bereist – und nehmen diese genauer unter die Lupe. Wir fragen nach politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Erfolgsfaktoren sowie Hindernissen für eine erfolgreiche Digitalisierungsstrategie. Die vollständigen Ergebnisse der internationalen Vergleichsstudie stellen wir im November 2018 vor. Bis dahin veröffentlichen wir nach und nach interessante Erkenntnisse aus den untersuchten Ländern hier bei uns im Blog. In unserem zweiten Beitrag zu Dänemark geht es darum, wie Telemedizin konsequent bei der Reform des stationären Sektors mitgedacht wurde.


Dänemark ist ein kleines Land, das groß denkt. Wie groß, zeigt ein Beispiel aus Aarhus: Nördlich der zweitgrößten Stadt Dänemarks mit gerade einmal rund 270.000 Einwohnern entsteht so etwas wie eine kleine Trabantenstadt. Während Aarhus mit Schloss Marselisborg oder dem regenbogenfarbigen ARoS Kunstmuseum die Besucher lockt, ist die Hauptattraktion im Norden eine Klinik der Superlative: das Universitätskrankenhaus Aarhus.

Seit kurzem ist der Neubau auf dem riesigen Gelände bezugsfertig, die ersten Krankenhausmitarbeiter sind bereits umgezogen. Im März 2019 soll das Bauprojekt vollständig fertiggestellt und der Umzug abgeschlossen sein. Allein die blanken Zahlen beeindrucken: Bis zu 11.0000 Mitarbeiter, 44 klinische Abteilungen, 1.150 Betten. Jährlich sollen dort etwa 100.000 Patienten stationär, 900.000 Patienten ambulant behandelt, mehr als 80.000 Patienten operiert werden und knapp 5.000 Babys auf die Welt kommen.

Doch die Megaklinik ist bei weitem nicht die einzige in Dänemark. Bis zum Jahr 2025, so sieht es der Plan vor, wird das kleine Land insgesamt 16 solcher Superkrankenhäuser haben. Sechs davon sind Neubauten, neben Aarhus in Aalborg, Gødstrup, Odense, Køge und Hillerød. Bei den anderen zehn handelt es sich um umfangreiche Modernisierungen bestehender Hospitäler. Insgesamt rund 6,5 Milliarden Euro fließen in die 16 Bauprojekte.

Krankenhauslandschaft in Dänemark – Spezialisierung und Zentralisierung

Ausgangslage war die dänische Kommunalreform 2007: Die ursprünglich 270 Kommunen wurden durch Zusammenlegungen auf 98 reduziert, und die 13 Ämter (vergleichbar mit den deutschen Kreisen) wurden durch fünf Regionen ersetzt. Zu deren Hauptzuständigkeiten zählt die Verwaltung des Gesundheitssystems. 80 Prozent ihrer Mittel stammen vom Staat, 20 Prozent von den Gemeinden.

Im Zuge der Kommunalreform führte die dänische Regierung einen Qualitätsfonds ein mit dem Ziel, die Qualität und Effizienz der Gesundheitsversorgung in Dänemark zu verbessern und dabei dem demografischen Wandel Rechnung zu tragen: Die Bevölkerung altert, und die Zahl der Patienten mit chronischen Erkrankungen steigt. Deshalb muss die ambulante Versorgung ausgebaut, gleichzeitig aber zunehmend hochspezialisierte Therapien zur Verfügung gestellt werden.

Aus diesen Erkenntnissen heraus erstellte Dänemark eine nationale Krankenhausstrategie [pdf] , die seit zehn Jahren Schritt für Schritt konsequent umgesetzt wird – und zwar ganz nach der Devise „weniger ist mehr“: Während es 1999 noch knapp 100 öffentliche Hospitäler in Dänemark gab, sind es heute gerade einmal 32 mit teils mehreren Standorten. Viele Kliniken wurden geschlossen, andere zusammengelegt. In der Region Süd-Dänemark etwa wurde die Zahl von 35 auf fünf Krankenhäuser an 12 Standorten reduziert.

Weniger Krankenhäuser, dafür aber bestens ausgerüstet, hochmodern und effizient: Insgesamt sollen am Ende des Gesamtprozesses in ein paar Jahren maximal etwa 20 Standorte landesweit die Versorgung für 5,7 Millionen Dänen sicherstellen. Jedes von ihnen ist damit für rund 300.000 Bewohner zuständig. Zum Vergleich: In Deutschland gibt es für knapp 83 Millionen Menschen etwa 1.950 Krankenhäuser. Das sind pro Krankenhaus etwa 42.500 Einwohner. Zwar wird hierzulande bereits über eine Spezialisierung der Krankenhäuser sowie eine Zentrenbildung diskutiert (siehe hierzu unseren Faktencheck Krankenhausstruktur), doch die Umsetzung solcher Lösungsansätze steht noch ganz am Anfang.

Erzählt man deutschen Patienten, wie wenige Krankenhäuser Dänemark hat, werden die Augen zunächst groß. Den meisten behagt die Vorstellung nicht, dass das nächste Krankenhaus unter Umständen weit entfernt sein könnte. Tatsächlich stieg durch die dänische Krankenhausreform auch die durchschnittliche Entfernung zum nächstgelegenen Krankenhaus. Umfragen aber haben gezeigt: Die große Mehrheit der Dänen würde lieber in ein 60 Kilometer weit entferntes, dafür exzellentes Krankenhaus fahren, anstatt in ein fünf Kilometer entferntes, das weniger gut ausgestattet ist.

Universitätskrankenhaus Odense
Hauptgebäude des Universitätskrankenhauses Odense (Bildnachweis: Eigene Aufnahme)

Und nicht nur das: Bei der Umstrukturierung der Krankenhauslandschaft ging es auch stets darum, möglichst viele Probleme außerhalb der Kliniken zu lösen. So kommt heute nur noch wer schwer krank ist in ein Krankenhaus – und bleibt dort auch nur möglichst kurz. Laut Healthcare Denmark liegt die durchschnittliche Verweildauer bei gerade einmal 3,7 Tagen – in Deutschland ist sie fast doppelt so hoch.

„Wir nennen sie Superkrankenhäuser, damit die Bevölkerung denkt, dass es gut wird. Und es wird auch toll“, sagte Søren Lindgaard, Direktor des Gesundheitsinnovationszentrums Süd-Dänemark, anlässlich einer Fachtagung zur Krankenhausreform in Thüringen vor zwei Jahren, die dazu diente, Erkenntnisse aus dem Beispiel Dänemark zu gewinnen. „Es ist besser, wenn die Bürger eine etwas längere Anreise in Kauf nehmen und dafür von einem hoch spezialisierten Arzt behandelt werden.“

Telemedizin als Teil der neuen Krankenhausstruktur

Zugleich investieren auch die Krankenhäuser selbst in digitale Innovationen wie etwa Telemedizin, während in Deutschland es Projekte oft schwer haben, sich in der Regelversorgung zu etablieren (siehe hierzu unsere Einschätzung im Blog). Wie das zur Steigerung der Effizienz und des Patientenwohls beitragen kann, zeigt ein Projekt in Odense. Dort werden Frühgeborene früher als üblich mit ihren Eltern nach Hause geschickt. Für gewöhnlich müssen Säuglinge, die zu früh auf die Welt kommen, eine Weile medizinisch behandelt werden. Doch selbst wenn sie klinisch stabil sind, müssen sie dann noch pflegerisch betreut werden, bis sie an der Brust oder von der Flasche trinken und nicht mehr über eine Sonde ernährt werden müssen.

Das Problem: Zu diesem Zeitpunkt liegen die Kinder mitunter bereits seit Wochen oder gar Monaten im Krankenhaus, was auch eine enorme Belastung für die Eltern ist. In großen Städten wie Kopenhagen gibt es genügend Krankenschwestern, die auch zu den Eltern nach Hause kommen können, um sich um das Kind zu kümmern. Doch in ländlichen Gegenden wie auf der Insel Fünen sind die Ressourcen dafür begrenzt. Deshalb startete das Krankenhaus Odense Ende 2015 ein Pilotprojekt zur telemedizinischen Betreuung von Frühgeborenen und ihren Eltern.

Kernstück ist ein Telemedizin-Koffer. Darin befindet sich ein iPad, über das die Eltern mit dem Krankenhaus kommunizieren können – inklusive einem Ständer, damit die Mutter das iPad nicht halten muss, während sie das Kind im Arm hält – sowie eine Waage, die die Daten automatisch an das Krankenhaus übermittelt. Zwei Mal pro Woche „besucht“ die Krankenschwester Eltern und Kind: Über die iPad-Kamera kann sie sehen, wie es dem Baby geht. Die Eltern können auch Bilder oder andere Videos hochladen und im Notfall auch jederzeit eine Videokonferenz starten. Im Schnitt betreut jede Krankenschwester sechs Kinder telemedizinisch.

Erhält das noch Nahrung über eine Sonde, werden die Eltern zuvor geschult. Zudem erhalten sie auch einen Erste-Hilfe-Kurs speziell für kleine Säuglinge, um frühe Anzeichen einer möglichen Zustandsverschlechterung erkennen zu können. Einzige Voraussetzung für die telemedizinische Betreuung ist, dass die Babys mindestens 34 Wochen alt sind, 1.500 Gramm wiegen und in der Lage sind, ihre Körpertemperatur zu halten.

Sowohl Eltern als auch die Pflegefachkräfte berichten von positiven Erfahrungen: „Es fühlt sich an, als säße man mit der Familie im Wohnzimmer“, sagt eine Krankenschwester in einem dänischen TV-Beitrag. „Ich habe 20 Minuten Zeit für die Familie – ohne Unterbrechungen.“ Das sei mehr, als wenn die Eltern in der Klinik sind. Auch Eltern berichten, es sei eine große Erleichterung, wenn sie nicht noch mehr Tage oder Wochen im Krankenhaus verbringen müssen. Sie fühlten sich zudem gut auf die Pflege zu Hause vorbereitet und es bliebe mehr Zeit und Ruhe fürs Stillen.

Initiativen für den Einsatz von Telemedizin kommen vom Krankenhauspersonal

Bemerkenswert ist die Tatsache, dass der Vorschlag für die Projektinitiative von den Krankenschwestern aus der Kinderstation von Odense kam und diese das Betreuungsmodell selbst gemeinsam mit einer ärztlichen Doktorandin entwickelt haben. Initiativen wie diese werden in der Klinik gefördert: Über eine offene Plattform können sämtliche Mitarbeiter Vorschläge für neue Technologien oder Telemedizinprojekte einreichen. Ein Innovationsboard begutachtet die Einreichungen und stellt vielversprechenden Projekten finanzielle Mittel und wissenschaftliches Personal für deren Evaluierung zur Verfügung.

Erste Evaluierungsstudien des Frühchen-Projekts zeigen, dass die Kinder zwischen fünf und 14 Tagen früher nach Hause können als zuvor. Ein weiterer positiver Effekt: Die Klinik hat mehr freie Betten, um die intensiven Fälle betreuen zu können. Mittlerweile sind auch andere Krankenhäuser an dem Odenser Modell interessiert.

Zentralisieren, um Ressourcen und Fachwissen zu bündeln und Effizienzgewinne zu erzielen; verstärkter Einsatz von Telemedizin, um Krankenhauspersonal und Patienten zu entlasten – das war und ist eines der großen Ziele der dänischen Krankenhausreform. Tatsächlich ist ein Däne im Schnitt nur ein Drittel so lange pro Jahr im Krankenhaus wie ein Deutscher. Vorteil: Es besteht in Dänemark weniger die Gefahr, dass Patienten zu schnell oder zu häufig operiert werden, womit auch das Risiko für die gefürchteten Krankenhausinfektionen sinkt. Der vermutlich größte Nutzen der Krankenhausreform: Je weniger Zeit ein Patient im Krankenhaus verbringen muss, desto zufriedener ist er.

Hinweis: Dieser Beitrag ist in Zusammenarbeit mit Dr. Cinthia Briseño entstanden. Frau Briseño unterstützt die Vorort-Recherchen zur Studie zu #SmartHealthSystems mit journalistischen Blog-Beiträgen zu den verschiedenen Ländern.
Die Studie führt die empirica – Gesellschaft für Kommunikations- und Technologieforschung im Auftrag der Bertelsmann Stiftung durch.

 


Verfolgen Sie die Eindrücke unserer Länderreisen zur Studie bis Ende 2018

Die vollständigen Ergebnisse unserer internationalen Vergleichsstudie werden wir im November 2018 vorstellen. Bis dahin veröffentlichen wir nach und nach interessante Erkenntnisse und gute Beispiele aus anderen Ländern hier bei uns im Blog.

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