In immer mehr Ländern schalten Ärzt:innen ihre Behandlungsnotizen für ihre Patient:innen frei (OpenNotes). Auch in Deutschland würden gern 66 Prozent der Bevölkerung die ärztlichen Notizen lesen, wären sie digital einsehbar. Die Nutzung von OpenNotes in anderen Ländern zeigt, dass sich das Verständnis von Patient:innen über die eigene Erkrankung und damit ihre Gesundheitskompetenz erheblich verbessert, wenn Ärzt:innen ihre Dokumentation zur Krankheitshistorie, zu Befunden und Diagnosen offenlegen. Auch die Arzt-Patienten-Beziehung erfährt dadurch mehr Vertrauen und gegenseitige Wertschätzung. Was muss getan werden, damit Ärzt:innen auch in Deutschland ihre Dokumentation freiwillig öffnen, damit Patient:innen diese lesen können? Das Expertennetzwerk „30 unter 40“ der Bertelsmann Stiftung hat dazu Handlungsempfehlungen erarbeitet, die wir hier vorstellen. Dieser Beitrag ist Teil der Blogreihe „Digitale Gesundheit 2025“. Diese beleuchtet verschiedene Themen, zu denen das Netzwerk in einem Workshop mit dem health innovation hub gearbeitet hat. 


OpenNotes ist eine Bewegung, die vor gut zehn Jahren aus einem erfolgreichen Pilotprojekt an der US-amerikanischen Harvard University entstand. Getragen wird sie von der einfachen, aber fast revolutionären Idee, dass Ärzt:innen ihre Behandlungsnotizen offenlegen, damit die Patient:innen diese lesen können. Dies geschieht digital über bereits bestehende Patientenportale oder Patientenakten. Die Transparenz der ärztlichen Dokumentation und Notizen hat sich in den USA positiv auf die Beteiligten und ihre Beziehung zueinander ausgewirkt: Ärzt:innen schreiben umfassendere und laienverständlichere Notizen, wenn sie sie anschließend offenlegen. Patient:innen können die Notizen lesen, eventuelle Missverständnisse ansprechen und so ein besseres Verständnis für ihre Erkrankung und Behandlung entwickeln. Die Arzt-Patient-Beziehung verändert sich und wird offener, vertrauensvoller und wertschätzender.

In Deutschland ist die Idee von OpenNotes nur wenig bekannt. Zudem gab es hierzulande bisher kaum technische Möglichkeiten der digitalen Offenlegung ärztlicher Dokumentation. Hier bietet die am 1. Januar 2021 gestartete ePA eine große Chance, die technischen Voraussetzungen für ein sicheres Offenlegen zu ermöglichen, dafür einen einheitlichen Rahmen zu setzen und so OpenNotes auch in Deutschland zum Durchbruch zu verhelfen.

Herausforderungen

Bis die Potenziale von OpenNotes auch in Deutschland erkannt und genutzt werden und Ärzt:innen ihren Patient:innen die Behandlungsnotizen offenlegen, ist es noch ein längerer Weg. Die zentralen Herausforderungen liegen darin, das ärztliche Interesse an OpenNotes zu wecken und die technischen Voraussetzungen zu schaffen, um die Notizen in der ePA einheitlich zu speichern.

Wie groß ist die ärztliche Bereitschaft hierzulande, die eigenen Notizen für Patient:innen zu öffnen? Hinweise darauf gibt eine im Februar 2021 veröffentlichte Umfrage von bitkom und Hartmannbund: Demnach verwalten von den befragten Ärzt:innen noch 31 Prozent die Patientenakten und 37 Prozent ihre Notizen und eigenen Dokumentationen überwiegend analog. Zudem empfinden 38 Prozent der Befragten die „mögliche Kontrolle der ärztlichen Aktivitäten“ als einen Nachteil der ePA. Ein Teil der Ärzteschaft führt also auch heute noch keine elektronische Dokumentation und sorgt sich zudem vor möglicher digitaler Kontrolle.

Gleichwohl gibt es Ärzt:innen, die überwiegend digital arbeiten und ihre Notizen für ihre Patient:innen offenlegen würden. Doch es gibt noch technische Hürden. Zwar existiert mit der ePA erstmals ein sicherer digitaler Speicherort, an dem Notizen hinterlegt werden könnten; doch besteht in den über 200 in Deutschland genutzten Praxisverwaltungssystemen (PVS) kein einheitlicher Standard, Behandlungsnotizen in einer normierten Form in der ePA zu speichern. Die Notizendokumente wären in der ePA nicht eindeutig als solche definiert und daher für Patient:innen dort nur schwer auffindbar. Es entstünde ein Flickenteppich von Dokumenten in der ePA. Was also tun?

Handlungsempfehlungen

Folgende Ansätze könnten dazu beitragen, dass Ärzt:innen in Deutschland künftig ebenfalls ihre Behandlungsnotizen zur Einsichtnahme öffnen:

1) Mit Fürsprechern für OpenNotes werben

Für den Ansatz, die eigenen (digitalen) Behandlungsnotizen für die Patient:innen zu öffnen, sollte das ärztliche Interesse geweckt werden. Dies könnte gelingen, indem die wissenschaftlich erwiesenen Vorteile von OpenNotes herausgestellt werden. Dabei helfen Studien aus anderen Ländern, die dies bereits erfolgreich praktizieren, und die positiven Ergebnisse aus dem OpenNotes-Projekt in Witten-Herdecke.

Zudem braucht es starke Fürsprache aus der Ärzteschaft: Ärzt:innen, die das Potenzial von OpenNotes erkennen und ein technisch leicht umsetzbares und einheitliches Abspeichern der Notizen in der ePA hierzulande einfordern. Auch Fürsprecher aus der Gesundheitspolitik könnten sich für OpenNotes einsetzen und förderliche Rahmenbedingungen schaffen.

2) OpenNotes in der ePA ermöglichen

Je leichter die technische Handhabung ist, desto größer dürfte die Bereitschaft bei Ärzt:innen sein, ihre Behandlungsnotizen zu öffnen. Die ePA wäre ein sicherer Speicherort. Das dortige Abspeichern der Behandlungsnotizen sollte technisch genauso gestaltet sein wie bei allen anderen aus einem PVS generierten Dokumenten, das heißt, die Behandlungsnotizen sollten eine eigene Dokumentenklassifikation erhalten.

3) Interessierte Ärzt:innen unterstützen

Interessierte Ärzt:innen sollten darin unterstützt werden, ihre Notizen offenzulegen. Dies bedeutet zuallererst, dass OpenNotes ein freiwilliges Angebot der Ärzteschaft an ihre Patient:innen ist. Zudem sollte es eine Option in den PVS geben, dass Ärzt:innen ggf. heikle Informationen – etwa wenn sie die Rechte Dritter verletzen – in ihren Notizen ausblenden können. Ferner sollte es für sie Fortbildungen zur Dokumentation in laienverständlicher Sprache geben. Auch wäre in der Anfangsphase eine temporäre Vergütung über eine neue EBM-Ziffer denkbar.

4) DiGA für das Arztgespräch?

Als eine Alternative oder Ergänzung zu OpenNotes wäre denkbar, dass Patient:innen das Behandlungsgespräch als Audiodatei aufzeichnen, falls ihre Ärztin bzw. ihr Arzt damit einverstanden ist. Künstliche Intelligenz wird verstärkt in der Lage sein, diese Aufzeichnungen in eine laienverständliche Sprache zu übersetzen. Es ist sogar vorstellbar, dass das transkribierte Gespräch dann in eine logische Struktur gebracht werden kann. Eine solche Datei könnten Patient:innen in ihrer ePA speichern.

Diese Lösung entfernt sich allerdings von der OpenNotes-Philosophie, bei der es gerade darum geht, dass die Ärztin bzw. der Arzt die eigene medizinische Interpretation den Patient:innen zur Verfügung stellt. Bei einer reinen Audioaufzeichnung entfielen wichtige inhaltliche Verdichtungen und die ärztliche Interpretation des Gesprächs. Gleichwohl ermöglichten solche Aufzeichnungen den Patient:innen, das Gespräch später und mit Angehörigen noch einmal durchzugehen und nachzuvollziehen. Insofern wäre auch diese Lösung – wenn sie einvernehmlich erfolgt – ein Schritt in Richtung mehr Transparenz.

Fazit

Insgesamt ist zu hoffen, dass sich die Idee von OpenNotes hin zu mehr Offenheit im Arzt-Patienten-Gespräch auch in Deutschland durchsetzen wird. In Ländern wie den USA waren einige Ärzt:innen zunächst skeptisch, nahmen allerdings an Pilotversuchen teil und gaben auch nach der Feldphase weiterhin ihre Notizen frei, weil sie mittlerweile von den Vorteilen für sich selbst und ihre Patient:innen überzeugt waren. Wenn das Abspeichern von Behandlungsnotizen in der ePA auch hierzulande benutzerfreundlich und standardisiert möglich wäre, könnte es hier ebenfalls auf freiwilliger Basis ausprobiert und angeboten werden. Freiwilligkeit, leichte Benutzbarkeit und vor allem gegenseitiges Vertrauen und Konsens zwischen Ärzteschaft und Patient:innen könnten OpenNotes auch in Deutschland zum Durchbruch verhelfen.

Digitales Netzwerktreffen im Oktober 2020

Die Empfehlungen in dieser Blogreihe wurden mit einzelnen Expert:innen aus dem Netzwerk „30 unter 40“ zusammen mit Mitarbeiter:innen der Bertelsmann Stiftung sowie des health innovation hub erarbeitet. Sie sollen der weiteren Diskussion über die jeweiligen Themen Impulse geben. Inhaltlich entsprechen die Handlungsempfehlungen nicht zwangsläufig der Meinung aller einzelnen Netzwerk-Experten, der Stiftung oder des hih.

Inhaltliche Ansprechpartnerin: Marion Grote-Westrick