„Der digitale Patient“ beschäftigt sich damit, wie nutzenstiftende Gesundheits-Apps und Webanwendungen für Bürger in die Regelversorgung gebracht und Hürden überwunden werden können. In einzelnen Teilberichten zum „Transfer von Digital-Health-Anwendungen in den Versorgungsalltag“ widmen wir uns jeweils verschiedenen Hürden und erarbeiten Vorschläge zur Verbesserung der Rahmenbedingungen. Der aktuelle Teilbericht zum Förderbedarf von Digital Health zeigt, dass die bestehenden Programme der Innovationsförderung häufig am Bedarf der Anbieter vorbei gehen. Abgeleitet aus der Analyse schlagen wir ein spezifisches Förderprogramm für Studien zum Nutzennachweis von Digital-Health-Anwendungen vor. Der Digital-Health-Experte Karsten Knöppler, der mit seinem Team im Auftrag der Bertelsmann Stiftung den Teilbericht verfasst hat, erklärt uns im Interview, warum ein solches Förderprogramm notwendig ist.


Herr Knöppler, wo sehen Sie besonderen Förderbedarf bei Digital-Health-Anwendungen?

Karsten KnöpplerKnöppler: „Digital-Health-Anbieter, häufig junge Gründer, sind in vielen Fällen mit einer hohen fachlichen Kompetenz und einer ausgesprochen guten Medienkompetenz ausgestattet. Das ist in nicht regulierten Märkten eine sehr gute Voraussetzung, um ein Produkt erfolgreich zu platzieren. Im stark regulierten Gesundheitswesen brauchen Anbieter aber zudem ein erhebliches Knowhow zu regulatorischen und strukturellen Rahmenbedingungen. Dieses fehlt den Startups zunächst häufig: Das betrifft beispielsweise Themen wie die Zertifizierung von Medizinprodukten, den Nutzennachweis sowie die organisatorische und technische Interoperabilität zu bestehenden IT-Systemen im Gesundheitswesen.“

Wie greifen die bereits bestehenden Förderprogramme den Förderbedarf von Digital-Health-Anwendungen auf?

Knöppler: „Wir haben sieben besonders relevante Programme aus der Wirtschaftsförderung sowie den sogenannten Innovationsfonds analysiert. Die Programme sind in der Regel sehr breit aufgestellt, das heißt auf ein weites Spektrum an möglichen Unternehmungen ausgelegt und lassen sich in einigen Fällen auch für Digital-Health-Startups nutzen. Sie adressieren jedoch in den seltensten Fällen deren Bedarfe. Zum Beispiel werden im Rahmen des Innovationsfonds spezifische Themen wie Telemedizin oder Begleitforschung gerade explizit adressiert, lassen sich aber trotzdem nur bedingt für Digital Health nutzen.“

Wo liegen bei den existierenden Förderprogrammen die Probleme für Anbieter von Digital-Health-Anwendungen?

Knöppler: „Dort wo Programme explizit relevante Probleme aus Sicht von Digital Health angehen, ist eine Förderung trotzdem immer noch mit erheblichen Hindernissen verbunden. Die Ursache liegt in den meist recht spezifischen Anforderungen der Programme: Sie sind in vielen Fällen nicht mit den gegebenen Voraussetzungen der Startups in Einklang zu bringen. Allein der Suchprozess  nach geeigneten Programmen, die folgende Auswahl und dann noch das jeweilige Antragsverfahren sind meist so aufwändig, dass ein Unternehmen allein hierfür schnell ein bis zwei Personen für mehrere Monate abstellen müsste. Etablierten, mittelständischen oder größeren Unternehmen ist das möglich, Startups haben dafür aber einfach zu wenige Ressourcen. Und bei den Programmen der Wirtschaftsförderung werden oft sehr große Erwartungen an die Umsatzentwicklung der geförderten Unternehmen gestellt. Diese sind in einem regulierten Markt wie dem Gesundheitswesen in der Regel relativ unrealistisch. Bei Programmen des Gesundheitswesens wiederum – konkret beim Innovationsfonds – werden produktbezogene Förderzusagen ausgeschlossen. Zeitfenster für die Antragsstellung und Themenvorgaben sind so eng gesetzt, dass sie mit den dynamischen Lebenszyklen von Startups einfach nicht kompatibel sind.“

Im gerade veröffentlichten Teilbericht schlagen Sie ein spezifisches Förderprogramm mit dem Fokus „Nutzennachweis von Digital-Health-Anwendungen“ vor. Wie wäre dieses ausgestaltet?

„Der Markt für Digital Health ist derzeit recht aufgeheizt.“

Knöppler: „Der Markt für Digital Health ist derzeit recht aufgeheizt. Das heißt, man hat in den letzten zwei Jahren viel Augenmerk auf die vorhandenen Anbieter gelegt – und die Erwartungen an die Produkte sind gleichzeitig hoch. Aber bisher haben die wenigsten Anbieter von therapeutischen Anwendungen auch deren Wirksamkeit und den gesundheitlichen Nutzen nachgewiesen. Das ist sowohl für die derzeit wirtschaftlich erfolgreichen Anbieter als auch für den Markt gefährlich: Wenn die Wirksamkeit nicht nachgewiesen werden kann, kann es dem Image von Digital Health mittelfristig schaden und verhindern, dass das Potenzial der digitalen Anwendungen  für die Gesundheitsversorgung – also die Patienten – erschlossen wird. Außerdem gibt es bislang noch sehr wenig originär deutsche Forschung zu Digital Health. Gängige Forschungsinstitutionen haben sich noch wenig eingehend mit dem Themenfeld beschäftigt und auf die teils besonderen Anforderungen wie die schnellen Entwicklungszyklen von digitalen Anwendungen eingestellt.

Deswegen ist es gerade sinnvoll, ein spezifisches Programm zur Förderung von Nutzennachweisen für Digital-Health-Anwendungen mit therapeutischem Schwerpunkt aufzusetzen. Das Programm sollte eine schnelle, unbürokratische und flexible Antragsstellung ermöglichen. Und es sollte auch für die Studien methodische Mindestanforderungen vorgeben, die zwischen den Anforderungen des Gesundheitswesens und den wirtschaftlichen Gegebenheiten der Startups vermitteln können. Dadurch könnte gleichzeitig der Nachweis von Wirksamkeit und Nutzen von Digital-Health-Anwendungen und die Forschungsszene im Bereich Digital Health gezielt gefördert werden. So würde, vor dem Hintergrund des internationalen Forschungs- und Standortwettbewerbs im Bereich Digital Health, ein Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit des Gesundheitswirtschaftsstandortes Deutschland geleistet.“


Karsten Knöppler, Diplom-Betriebswirt, ist Geschäftsführer der fbeta GmbH, Experte und Berater für die Themen „Gesundheits- und Versorgungsmanagement“ sowie „Gesundheits-IT“. Zuvor war er u.a. im AOK-Bundesverband, der gevko in der AOK Systems und im IGES Institut mit den Schwerpunkten „Krankenkassen“ und „Neue Versorgungsformen“ tätig. Zudem hat er im Kontext der Disease-Management-Programme in der Versorgungsforschung, Entwicklung und Einführung u.a. bei ANYCARE gearbeitet.


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