Der 121. Deutsche Ärztetag hat am 10. Mai 2018 beschlossen, die Musterberufsordnung der Ärzte im Hinblick auf das Thema „Fernbehandlung“ anzupassen und das Verbot ausschließlicher Telekonsultationen, also solcher ohne persönlichen Erstkontakt, zu lockern. Damit wurde eine Hürde für eine breitere Nutzung digitaler Anwendungen und der Telemedizin genommen. Was bedeutet die Öffnung nun konkret? Warum geht die Ärztekammer Schleswig-Holstein noch einen Schritt weiter und was muss nun getan werden, damit Fernbehandlungen einen Mehrwert für Patienten bieten? Wir haben Dr. Franz Joseph Bartmann, Präsident der Ärztekammer Schleswig-Holstein und Vorsitzender des Telematikausschusses der Bundesärztekammer, für unseren Blog befragt.


Der 121. Deutsche Ärztetag hat jüngst beschlossen, die Musterberufsordnung der Ärzte (MBO-Ä) anzupassen und das Verbot zur Fernbehandlung zu lockern. Was besagt die Regelung nun? 1

Dr. Franz Jospeh BartmannBartmann: „Die Regelung besagt konkret, dass auch bei einem Erstkontakt ohne persönliche Anwesenheit des Patienten eine ärztliche Einschätzung der vermutlichen Krankheitssituation vorgenommen und an den Patienten weitergegeben werden darf, ohne damit gegen geltendes Berufsrecht zu verstoßen. Denn bisher war eine ausschließliche Beratung oder Behandlung über Kommunikationsmedien grundsätzlich verboten und ist nun unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt. In eindeutig gelagerten Fällen kann also eine Behandlungsempfehlung erfolgen und dadurch ein persönlicher Arztkontakt verzichtbar werden. Ansonsten bildet das Gespräch eine wertvolle Navigationshilfe zur gezielten Wahrnehmung eines Arztkontaktes auf einer dem Problem angemessenen Versorgungsebene.“

Warum ist eine solche Regelung aus Ihrer Sicht zeitgemäß?

Bartmann: „Bei einem medizinischen Problem informiert sich ein Großteil der Patienten bereits heute zunächst anhand der vorliegenden Symptome auf verfügbaren Internetseiten über mögliche Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten. Die Qualität dieser Informationsquellen ist dabei sehr unterschiedlich und für den Patienten selbst meist nur schwer oder gar nicht einschätzbar. Deshalb ist die Verfügbarkeit ärztlicher Kompetenz bereits im Vorfeld einer direkten Arztkonsultation sinnvoll. Die Besonderheiten des deutschen Krankenversicherungssystems verhindern derzeit noch, dass bereits vorhandene – kostenpflichtige – Beratungen durch im Ausland ansässige Ärzte in relevantem Umfang genutzt werden. Von daher ist es sinnvoll und notwendig, dass ein vorhandener Bedarf auch im Rahmen und unter Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung im Inland gedeckt werden kann. Krankenversicherungen wären hierzu mehrheitlich bereit.“

Die Ärztekammer Schleswig-Holstein geht in ihrer Berufsordnung noch über die Anpassungen der Bundesärztekammer hinaus. Wo liegen die Unterschiede und wie sind diese begründet?

Bartmann: „In der Ärztekammer Schleswig-Holstein gehen wir davon aus, dass die souveräne Entscheidung zwischen Arzt und Patient für eine derartige Form des Kontaktes keiner normierenden Einschränkung bedarf. Die Anpassung der Musterberufsordnung der Ärzte beschränkt sich hingegen auf den Einzelfall, wobei der Einzelfall keinen eindeutigen Rechtsbegriff darstellt, und fordert gewisse Rahmenbedingungen, wie beispielsweise eine Aufklärung der Patienten. Die an anderer Stelle des Berufsrechts angesiedelte Sorgfaltspflicht wird natürlich auch bei uns vorausgesetzt und beschränkt damit per se die Möglichkeit einer abschließenden Behandlung ohne körperliche oder instrumentelle Untersuchung. Im Ergebnis entspricht dies vermutlich der im bundeseinheitlichen Textvorschlag vorgesehenen Beschränkung auf „Einzelfälle“. Wir teilen allerdings nicht die Einschätzung, dass ein Erstkontakt über Medien ganz besondere Risiken beinhaltet, auf die der Patient regelhaft hingewiesen und besonders aufgeklärt werden muss.“

In einer aktuellen Umfrage des Hartmannbunds sprachen sich zuletzt rund 60 Prozent der Ärzte gegen eine Lockerung des ausschließlichen Fernbehandlungsverbots aus. Was glauben Sie, worin sind die Vorbehalte begründet? Und welche Erfahrungen haben Sie konkret in Schleswig-Holstein gemacht?

Bartmann: „Ich kann gut nachvollziehen, dass ohne vorherige weitergehende Information allein der Begriff der Fernbehandlung verwirrend ist. Wer als Begründung der Ablehnung angibt, dass man auf diesem Wege weder eine körperliche noch eine Laboruntersuchung vornehmen kann, hat natürlich völlig recht. Dies ist gegebenenfalls dann dem gezielten Zweit- oder Drittkontakt vorbehalten. Völlig auf dem Holzweg sind dagegen diejenigen, die glauben, durch das geltende Berufsrecht deutsche Patienten vor einer Fernbehandlung durch Ärzte in Indien oder anderswo schützen zu können und zu müssen. Das Gegenteil ist richtig: Durch ein Verbot für inländische Ärzte wird dem nur Vorschub geleistet. Nicht ganz von der Hand zu weisen sind dagegen Befürchtungen vor möglichen Einkommensverlusten für einzelne Praxen, wenn in relevanter Zahl Behandlungsfälle ausblieben, die regelhaft die Zahlung eines Regelleistungsvolumens auslösen, ohne das Zeit- und Sachbudget des Arztes in gleicher Höhe zu belasten. Die Mitglieder der Kammerversammlung Schleswig-Holstein und regelmäßige Rezipienten der Kammerinformationen sind vermutlich besser informiert als die große Mehrheit der niedergelassenen Ärzte, deren Befragung vermutlich auch in Schleswig-Holstein zu vergleichbaren Ergebnissen führen würde.“

Was braucht es – neben der Anpassung der Berufsordnung – noch, damit die Fernbehandlung zu einer „Regelleistung“ wird, von der Patienten, Ärzte und das System profitieren?

Bartmann: „Das ist, auch im Hinblick auf die vorherige Frage, ein ganz kritischer Punkt. Alle gesetzlichen Regelungsversuche aus der Vergangenheit, wie zum Beispiel das Versorgungsstrukturgesetz 2012 oder das E-Health-Gesetz 2015, haben im Ergebnis nicht zu der beabsichtigten Beschleunigung des für erforderlich gehaltenen Strukturwandels im deutschen Gesundheitswesen geführt. Es steht daher kaum zu erwarten, dass die alleinige Änderung des Berufsrechts in Deutschland einen Boom im Einsatz telemedizinischer Anwendungen nach sich ziehen wird. Dazu bedarf es vielmehr im oben erwähnten Sinne einer substanziellen Anpassung des Sozialrechts im Hinblick auf die geltende Vergütungssystematik. Telemedizin muss die erkennbaren Vorteile für die beteiligten Ärzte und Patienten nutzen und auch finanziell auskömmlich sein. Andererseits sollte es nicht zu Einkommensverschiebungen zulasten derer kommen, die den klassischen Arzt-Patienten-Kontakt auch in den grundsätzlich für Telemedizin geeigneten Fällen nutzen.“

Wie geht es jetzt weiter?

Bartmann: „Das Sozialministerium in Schleswig-Holstein hat unsere Regelung bereits genehmigt, so dass die Kassenärztliche Vereinigung wie geplant noch in diesem Jahr ein geplantes Notfallprojekt starten kann. Über die Notfallnummer 116117 kann dann nicht nur eine effektive Patientensteuerung, sondern bei fehlender Notwendigkeit zu einem Arztkontakt auch eine abschließende Beratung erfolgen. In Baden-Württemberg werden die dort laufenden Modellprojekte vor einer erneuten Änderung des Berufsrechts mit Sicherheit zu Ende geführt. In den übrigen Landesärztekammern muss zunächst ein Votum der jeweiligen Kammerversammlung zur Umsetzung der Musterberufsordnung erfolgen mit nachfolgender Genehmigung durch die jeweils zuständige Landesbehörde. Die Diskussion vor und auf dem Ärztetag lässt erwarten, dass dieser Prozess zumindest diskontinuierlich verlaufen wird. Auch das Votum einzelner Landesärztekammern gegen eine Umsetzung würde nicht überraschen.“

 


Verweis

  • [1] Im Wortlaut heißt es im Beschlussprotokoll zum 121. Ärztetag (S. 286): „TOP IV Änderung des § 7 Abs. 4 MBO-Ä (Fernbehandlung): Ärztinnen und Ärzte beraten und behandeln Patientinnen und Patienten im persönlichen Kontakt. Sie können dabei Kommunikationsmedien unterstützend einsetzen. Eine ausschließliche Beratung oder Behandlung über Kommunikationsmedien ist im Einzelfall erlaubt, wenn dies ärztlich vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorgfalt insbesondere durch die Art und Weise der Befunderhebung, Beratung, Behandlung sowie Dokumentation gewahrt wird und die Patientin oder der Patient auch über die Besonderheiten der ausschließlichen Beratung und Behandlung über Kommunikationsmedien aufgeklärt wird“ (Quelle: Beschlussprotokoll des 121. Dt. Ärztetags, zuletzt abgerufen am 24.05.2018)

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