Unsere Studie zu Videosprechstunden aus 2015 zeigt bevölkerungsseitig ein großes Interesse an der digitalen Form des Arzt-Patient-Gesprächs. Darüber hinaus kann der neue Kommunikationskanal auch für Ärzte eine sinnvolle Prozessinnovation sein – so zeigen es die Einschätzung der von uns befragten Experten und internationale Erfahrungen. Als förderlich für die Akzeptanz seitens der Ärzte hatten die Experten unter anderem die Abfederung von Investitionskosten sowie eine geregelte Vergütung identifiziert. Seit dem vergangenen Wochenende werden Videosprechstunden nun durch die gesetzliche Krankenversicherung vergütet – versehen mit budgetären und indikationsbezogenen Einschränkungen, die bei verschiedenen Akteuren teils heftige Kritik ausgelöst haben. Wir haben erste Reaktionen gesammelt und möchten mit diesem Beitrag weiteren Diskurs anstoßen.


Die Regeln: Grundpauschale sowie Technik- und Förderzuschlag

Grundsätzlich sieht die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) die Videosprechstunde als Ersatz für eine persönliche Konsultation in der Arztpraxis an, weshalb deren Vergütung zunächst in der Grundpauschale für einen Patienten enthalten ist. Kommt der Patient in einem Quartal nicht in die Praxis sondern spricht nur per Video mit dem Arzt, gibt es dafür aber nun 9,27 Euro. Voraussetzung: Der Patient war innerhalb der vergangenen zwei Quartale mindestens einmal persönlich vor Ort und die per Videosprechstunde durchgeführte Verlaufskontrolle erfolgt durch den selben Arzt wie die Erstbegutachtung (Stichwort: ausschließliche Fernbehandlung).

Unabhängig davon erhält der Arzt für jede durchgeführte Videosprechstunde einen Technik- und Förderzuschlag von 4,21 Euro. Nach Rechnung der KBV soll dieser hälftig zur Deckung der Lizenzkosten für den Technikanbieter sowie als Anreiz zur Nutzung des neuen Kommunikationsweges dienen. Der Zuschlag wird bis zu 50 Mal pro Quartal gezahlt und ist im Jahr auf 800 Euro gedeckelt.

Bei definierten mehrstufigen Behandlungsverläufen – zum Beispiel zur Wundversorgung – kann einer der Arztkontakte nun auch per Videosprechstunde stattfinden. Nur bestimmte Indikationen sind zunächst zur Abrechnung zugelassen, dazu gehören „die visuelle Verlaufskontrolle von Operationswunden, Bewegungseinschränkungen und -störungen des Stütz- und Bewegungsapparates sowie die Kontrolle von Dermatosen, einschließlich der diesbezüglichen Beratung.“ Darüber hinaus könne auch die Beurteilung der Stimme, des Sprechens oder der Sprache per Videokonsultation erfolgen.

Auch sind bisher nur bestimmte Arztgruppen, darunter Hausärzte, Kinder- und Jugendärzte, Haut- und Augenärzte, Chirurgen sowie Orthopäden, zur Abrechnung von Videosprechstunden berechtigt.

Videosprechstunden haben zahlreiche Vorteile
Im 2015 veröffentlichten SPOTLIGHT Gesundheit haben wir gezeigt, welches Potenzial Videosprechstunden für die Gesundheitsversorgung haben. Die abgebildeten Vorteile sind Ergebnis einer Analyse von über 80 internationalen Quellen sowie einer Expertenbefragung.

Das Stimmungsbild: Im Grundtenor kritisch

Bei den öffentlichen geäußerten Einschätzungen findet sich nur wenig Positives. Aus Sicht der Anbieter von Videosprechstunden scheint die Einführung der Vergütung im Grundsatz ein wichtiger Schritt zu sein: „Wir freuen uns, dass nun die Rahmenbedingungen für die Anwendung der Online-Video-Sprechstunde in Deutschland geklärt sind“, äußerte sich beispielsweise Patientus-Geschäftsführer Nicolas Schulwitz vor wenigen Tagen auf Focus Online.

Ganz anders ist die Tonlage in einigen Berufsverbänden der Ärzte. Der Spitzenverband der Fachärzte (SpiFa) ließ gemeinsam mit dem Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte verlauten: „Das E-Health-Gesetz sollte eigentlich ein Signal sein, dass wir in Deutschland Vorreiter bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens werden. Mit der Einführung der OVS (Online-Videosprechstunde, Anm. d. Verf.) in die Regelversorgung zu solch unwirtschaftlichen Bedingungen wird dieses Vorhaben wohl scheitern.“

Und auch der Berufsverband der Deutschen Dermatologen (BVDD) kritisierte scharf: „Niemand wird ernsthaft erwarten, dass Ärzte in der Niederlassung unentgeltlich die neue Technik in ihren Praxisablauf integrieren werden.“

Oliver Erens, Sprecher der baden-württembergischen Landesärztekammer, äußerte sich eindeutig in der Regionalzeitung Heilbronner Stimme: „Wir sind gegen eine Deckelung. […] Wenn man solch ein interaktives Medium nutzen möchte, sollte man nicht von vorneherein Grenzen einziehen.“ Im selben Beitrag kam auch SPD-Politiker Edgar Franke, Vorsitzender im Ausschuss für Gesundheit des Deutschen Bundestages, zu Wort. Er sehe die Online-Videosprechstunde als Ergänzung, um die sprechende Medizin zu stärken.

Bereits Anfang Februar meldete sich der Bundesverband Internetmedizin zu Wort. Er deutete die Bewertung der Videosprechstunde „als Hinweis auf Digitale Phobie im deutschen Gesundheitswesen“ und formulierte, sie verhindere Investitionen bei motivierten Ärzten, die digitale Gesundheit in Deutschland gestalten wollen. Zum Zeitpunkt der Meldung waren allerdings noch striktere als die endgültigen Vergütungskriterien in Diskussion.

Die Videosprechstunde war auch Thema beim Netzpolitischen Dialog des Bundesministeriums für Gesundheit (ab Min. 40:30). Dort schilderte Haus- und Lehrärztin Irmgard Landgraf ihre Sichtweise und verwies einerseits auf eine Zeitersparnis durch die Onlinekonsultation, da Anfahrtszeiten für Hausbesuche eingespart würden. Andererseits sei aber der Hausbesuch besser vergütet als die Videosprechstunde.

Die Einordnung: Diskurs geschaffen, Evaluation notwendig

Die Einführung einer regelhaften Vergütung von Videosprechstunden hat unabhängig von ihrer Qualität erreicht, dass die Akteure nun intensiver über Online-Konsultationen sprechen; dass das Thema somit auch in der Ärzteschaft, die für die Einführung maßgeblich ist, breiter Gehör findet. Zu hoffen ist, dass – unabhängig von der Höhe der Vergütung – nun auch der Blick auf die positiven Erfahrungen gerichtet wird, die mit der neuen Kommunikationsform in der Praxis bereits gemacht werden.

Ob die Leitplanken, die zur Abrechnung gesetzt wurden, den Einsatz von Videosprechstunden in der Breite tatsächlich wie befürchtet verhindern, sollte im Laufe der nächsten Monate und Jahre beobachtet sowie kritisch evaluiert werden.


Unser Ziel ist, auf Basis der ersten Reaktionen den Diskurs um die Einführung der Videosprechstunde weiterzuführen, zu strukturieren und notwendige Handlungen abzuleiten. Wir werden uns in den kommenden Wochen und Monaten weiter und vertieft mit dem Thema beschäftigen. Dieser Beitrag dient dabei als Plattform zur Meinungsäußerung unserer Leser.

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