Elektronische Rezepte reduzieren Papier und Bürokratie und erleichtern den Alltag von Patienten. Als Teil eines ganzheitlichen Konzepts können sie aber auch die Patientensicherheit erhöhen – etwa, indem Daten direkt in einen elektronischen Medikationsplan fließen. Viele Länder haben bereits landesweite E-Rezept-Dienste eingeführt – in Deutschland sollen die Grundlagen 2020 gelegt werden. Ende vergangenen Jahres haben wir analysiert, was Deutschland von anderen Ländern lernen kann: Interoperabilität, klare Nutzungsszenarien und die Anschlussfähigkeit an elektronische Patientenakten sind die Schlüsselfaktoren.


Ein Ziel der Gesundheitspolitik ist es, gefährliche Wechselwirkungen von Medikamenten zu verhindern. In Deutschland haben Patienten mit mehr als drei verschriebenen Arzneimitteln daher seit 2016 Anspruch auf einen papierbasierten Medikationsplan. Dieser soll Ärzten und Apothekern helfen, mögliche Wechselwirkungen zwischen Medikamenten zu erkennen, und so die Behandlungssicherheit erhöhen. In vielen Ländern ist ein solcher Medikationsplan bereits digitalisiert, Rezepte werden elektronisch – als „E-Rezept“ – ausgegeben. In umfassend angelegten Konzepten erhalten Ärzte Reports, ob die verschriebenen Medikamente tatsächlich ausgegeben wurden. Die Daten zur Verschreibung und Ausgabe der Medikamente in der Apotheke wiederum fließen in den Medikationsplan und damit in die elektronische Patientenakte. Hierzulande sollen die Grundlagen für E-Rezepte 2020 geschaffen werden.

Die Einführung eines nationalen E-Rezepts birgt allerdings viele Herausforderungen: Verschiedene Informationssysteme von Arztpraxen, Apotheken und Krankenhäusern müssen zusammengeführt und es muss eine einheitliche Medikamentenübersicht für jeden Patienten geschaffen werden. Für eine solche Übersicht sind viele Informationen notwendig: einerseits zu den verschriebenen, andererseits zu den tatsächlich ausgegebenen Medikamenten. Da viele Länder beim Thema E-Rezept weiter sind als Deutschland, hat die Bonner Forschungsgesellschaft „empirica – Gesellschaft für Kommunikations- und Technologieforschung“ basierend auf unserer Studie #SmartHealthSystems in einer Sonderauswertung den Entwicklungsstand und die Umsetzung des E-Rezepts in 17 Ländern genauer unter die Lupe genommen.

Für die Auswertung wurden die drei Kernkomponenten eines E-Rezepts in den verschiedenen Ländern betrachtet:

  • die elektronische Übermittlung der Rezeptdaten an eine Apotheke (E-Verordnung)
  • der elektronische Abruf eines Rezepts und die Abgabe des Medikaments an Patienten (E-Dispensation)
  • die elektronische Meldung der Abgabeinformationen durch den Apotheker nach Abgabe eines Medikaments (Report)
  • die Verfügbarkeit einer E-Medikationsliste

Deutschland unter den Schlusslichtern

Um die Länder zu vergleichen, wurde ein Index erstellt. Die Grundlage für den Vergleichsindex bilden die Daten der Studie #SmartHealthSystems sowie länderspezifische Hintergrundrecherchen.

Der Umsetzungsstand beim E-Rezept variiert deutlich zwischen den untersuchten Ländern: Die Spitzengruppe hat übergreifende nationale E-Rezept-Systeme sowie E-Medikationslisten, die in der Regel mit einer nationalen elektronischen Patientenakte verbunden sind. Zu dieser Gruppe gehören Australien, Belgien, Dänemark, Estland, Portugal und Schweden. Dann folgen Länder mit teilweise verfügbaren E-Rezept-Systemen oder E-Medikationslisten. „Teilweise verfügbar“ heißt konkret, dass die digitalen Rezeptdienste entweder nur auf regionaler Ebene funktionieren oder auf nationaler Ebene nur ein begrenzter Austausch möglich ist. Die Länder dieser Gruppe sind Israel, Italien, Kanada, NHS England, Spanien, Frankreich und die Niederlande. Die Schlusslichter der dritten Gruppe haben noch keine funktionierenden E-Rezept-Systeme – hierzu gehören Österreich, Polen, die Schweiz und Deutschland.

Fallbeispiele aus Dänemark, Frankreich, Finnland und Estland

Zusätzlich zum Index wurden drei Fallbeispiele intensiver untersucht:

  1. Das dänische Modell des E-Rezepts, das allen Patienten den Zugriff per App sowie den Anschluss an die nationale Gesundheitsplattform sundhed.dk bietet – darüber hinaus ermöglicht es den Dänen, beispielsweise eine Verlängerung des Rezepts online zu beantragen. Alle aktuellen verschreibungspflichtigen und rezeptfreien Arzneimittel sowie verschriebene Nahrungsergänzungsmittel und andere Präparate sind im E-Rezept-Dienst enthalten.
  2. Das französische Dossier Pharmaceutique, das auf Nachfrage des Patienten in der Apotheke angelegt wird. Es beinhaltet die von Ärzten in den vergangenen vier Monaten verschriebenen Medikamente sowie die Empfehlungen von Apothekern.
  3. Der Austausch von elektronischen Rezepten zwischen Finnland und Estland: Jeden Monat werden durchschnittlich 500 E-Rezepte aus Finnland an Apotheken in Estland geschickt. Anlaufschwierigkeiten zeigen, wie wichtig hier Arzneimittelinformationssysteme sind, da die Namen der Wirkstoffe und Arzneimittel sowie die Packungsgrößen je nach Land unterschiedlich sein können.

Was Deutschland von anderen Ländern lernen kann

Dass hierzulande das E-Rezept eingeführt werden soll, ist zu begrüßen. Deutschland kann dabei von den Erfahrungen anderer Länder lernen und sollte vor allem auf die Anschlussfähigkeit von E-Rezept-Diensten an die elektronische Patientenakte setzen:

  • Die Entwicklung eines E-Rezepts zunächst parallel zur elektronischen Patientenakte (ePA) ist im Grundsatz sinnvoll, doch es muss auf die technische Anschlussfähigkeit an die ePA geachtet werden.
  • Klare Nutzungsszenarien für das E-Rezept müssen definiert werden. Dieses sollte verbunden werden mit einer elektronischen Rückmeldung der Apotheken zu tatsächlich abgeholten Medikamenten (E-Dispensation).
  • Der E-Rezept-Prozess müsste so gestaltet werden, dass er gebrauchstauglich für Patienten, Ärzte, Apotheker und alle anderen Beteiligten ist. Die Anwender sollten einen direkten Nutzen erfahren – auch, um die Akzeptanz digitaler Lösungen insgesamt zu fördern. In die Konzeption sind daher die Endnutzer gezielt einzubinden (Co-Design).
  • Bei der Entwicklung des E-Rezepts wäre es sinnvoll, bestehende nationale Arzneimitteldatenbanken zu nutzen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) sollte daher in die Entwicklung eingebunden werden.
  • Aktuelle europäische Entwicklungen und Standardisierungen – etwa die europäische Vereinheitlichung für ein internationales Arzneimittelregister – sind bei der Entwicklung des E-Rezepts mit zu bedenken.

 


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