Digitale Gesundheit: Lasst uns die gleiche Sprache sprechen

Nicht nur im neu etablierten Expertennetzwerk „30 unter 40“ unseres Projekts „Der digitale Patient“ treffen Akteure verschiedener Bereiche aufeinander – tagtäglich sprechen zahlreiche Stakeholder über die digitale Gesundheit, meinen aber häufig verschiedene Dinge. Um in einen konstruktiven Austausch zu gehen, sollten wir daher kritisch hinterfragen: Sprechen alle die gleiche Sprache?


Start-up-Vertreter, Wissenschaftler, Journalisten, Politiker, Leistungserbringer und Kostenträger reden und diskutieren jeden Tag auf Podien und in Fachgesprächen – eben dort, wo digitale Gesundheit von morgen gestaltet wird – über Big Data, Video-Sprechstunden, Datenschutz und Online-Terminvereinbarungen in nur einem Satz. Wenn wir uns also wundern, dass Diskussionen um Deutschlands digitale (Gesundheits-)Zukunft häufig nicht zum Konsens führen, sollten wir beginnen, nach Ursachen zu forschen. Gleich vorweg: Unterschiedlicher Meinung kann und darf man selbstverständlich sein. Auch oder gerade wenn man die gleiche Sprache spricht. Aber, wie so oft: „gesagt“ ist nicht gehört, „gehört“ ist nicht verstanden, und so weiter.

Die Frage nach der gleichen Sprache soll also Kommunikationsfehler als Ursache für scheiternde Diskussionen ausschließen. Oder, positiv ausgedrückt: Nur eine gemeinsame Sprache zu digitaler Gesundheit kann die Grundlage für erfolgreiche Diskussionen und Entscheidungen bilden.

Mit dem Erlernen einer fremden Sprache ist es immer das selbe: Wer Spanisch lernen will, sollte sich mit einem Spanier statt mit einem Deutschen unterhalten. Wenn ein Start-up-CEO die Sprache der Kostenträger verstehen will, sollte er nicht nur mit seinen Start-up-Kollegen reden. Was die Terminologie betrifft, handelt es sich also nicht um Zauberei – „redet miteinander“ kann an dieser Stelle bereits einen guten Beitrag leisten.

Wir müssen uns besser erklären

Schwieriger wird es, wenn die Terminologie bekannt ist, aber unterschiedliche kulturelle Interpretationen erfolgen. Ein gutes Beispiel ist der Begriff Telemedizin: Während Start-ups gleich an Video-Sprechstunden oder Telediagnostik denken, haben Ärzte und Klinikmanager vielleicht zunächst Teleradiologie und -monitoring im Sinn. Das kann dann zum Problem werden, wenn Vertreter dieser Bereiche gemeinsam über die Zukunft der Telemedizin in der deutschen Gesundheitsversorgung diskutieren sollen oder wollen.

Und was ist mit der elektronischen Patientenakte? Besitzt nicht bereits jede halbwegs moderne Arztpraxis eine solche? Für die einen steckt hinter der Abkürzung ePA eben nur die digitale Karteikarte des Arztes, die anderen sehen im Begriff „Elektronische Patientenakten“ zentrale, weltweit verfügbare Sammelstellen für sämtliche Gesundheitsdaten des Patienten.

Wir müssen uns besser erklären – und benötigen daher über Definitionen hinaus mehr Klarheit in dem, worüber wir sprechen. Damit alle an der Gestaltung digitaler Gesundheit beteiligten Akteure mit einem gemeinsamen Verständnis konstruktive Diskussionen führen können. In der gleichen Sprache. Auch daran arbeiten wir im Projekt „Der digitale Patient.“


Weitere Informationen zum Projekt „Der digitale Patient“ sind auf der Website der Bertelsmann Stiftung verfügbar.

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Kommentare

  1. / von Dr. Michael Hägele

    Hallo,
    ja genau „elektronischen Patientenakte“ ist ein gutes Beispiel. Elektronisch ist diese in vielen Fällen zwar(auch in den meisten Arztpraxen). Aber es gibt auch viele Qualitäten von elektronisch. Noch ist die „elektronische Patientenakte“ einfach eine digitale Papierversion: Sprich Daten wurden digitalisiert, indem man z.B. Arztbriefe scannt und dass man Notizen zum Patienten im „Volltext“ runterschreibt (oder auch diktiert) oder auch eigene Arztbriefe als Word hinterlegt.
    Das entscheidende: Für den Computer ist das damit nach wie vor eine Sammlung von Bildern und Zeichen ohne verständlichen Inhalt. Erst die Strukturierung (Dies ist eine Diagnose, dies ein Symptom, das eine Anamnese und jenes ein Medikament) bringt schon etwas Ordnung hinein. Für eine Interoperabilität braucht es aber auch noch die gleiche Sprache (Semantik), sprich Diagnosen werden bspw. per ICD kodiert, Medikamente per PZN (Pharmazentralnummer, aus der man dann auch die Wirkstoffe (ATC) folgern kann) um Institutionsübergreifend mit den Daten etwas anfangen zu können. Für Symptome und anamnestische Angaben gibt es noch viele Konventionen (z.B. SNOMED, ICPC2 usw.) für viele Angaben fehlt eine solche einheitliche Strukturierung noch. Da wird es dann erst spannend und das wäre dann eine WIRKLICHE elektronische semantisch interoperable Patientenakte, die ganz neue Qualitäten ermöglichen würde und einen Einsatz von künstlichen Intelligenzsystemen zur vielfältgen Unterstützung ermöglichen und Erkenntnisse generieren könnte auf Basis realer Praxisdaten in Echtzeit…
    Mit freundlichen Grüssen
    Dr. Michael Hägele, http://www.medizininformatik.de

  2. / von Andreas Brand

    Ist es nicht völlig themenunabhängig gültig, dass man die gleiche Sprache sprechen muss um einander zu verstehen und demnach auch um weiter zu kommen 😉
    Ich frage mich wirklich warum eine solche, eigentlich auf alle Themenkomplexe anwendbare Feststellung getätigt werden muss.

    Ich freue mich aber gleichzeitig auf interessante Beiträge hier zu diesem Thema welches ich sehr gern verfolgen werde.

    Die elektronische Patientenakte.
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    Mitlerweile ein Dinosaurier unter den Buzzwords. Lange diskutiert, kam aber nie. Das kann wahrscheinlich nur in Deutschland so breitgetreten werden … und dann aber nichts werden.
    Ich will den enthusiastischen Kommentar von Michael Hägele hier gar nicht widersprechen, aber ich würde mich freuen wenn nicht der in meinen Augen fatale Fehler für das Vorhaben gemacht würde, sich zu viel auf einmal vorzunehmen und dann am Ende ohne Fortschritt dazustehen.
    Die elektronische Patientenakte muss meiner Ansicht nach in ihrer ersten Version gar nicht mehr sein als die bloßen Worte besagen. Der Rechner muss damit gar nichts anfangen & analysieren können sondern er soll nur „servieren“, passt zum Tech-jargon. Erst wenn der Zugang zu den Daten für den Patienten selber und einen behandelnden Arzt gewährleistet ist, sollten die durchaus auch berechtigten BigData Phantasien zum Zuge kommen die dann die entsprechend aufbereiteten Datenstrukturen brauchen.
    Warum muss die Sache mit der elektronischen Akte von vorne herein so komplex betrachtet werden statt einfach anzufangen – ohne dass Standards definiert oder Technik entwickelt werden müsste. Man mache die Akte im Wortsinn elektronisch – stringent ALLES! Was für ein Fortschritt wäre es, wenn einfach alle verfügbaren medizinischen Daten zu einem Patienten in einem „Verzeichnis“ konsolidiert würden. Unnötige Mehrfachuntersuchungen, Kreuzkorrelationen die nur Ärzte erkennen können, fertige Historie für Patient und Arzt einsehbar. Einfach ein Verzeichnis mit Zeitstempel und Unterordnern. “Röntgenuntersuchung —> Befund Bruch”, “Mandelentzündung —> Rezept Antibiotikum” usw. Alle Rohdaten drin!
    Natürlich kann man das Ganze mit speziell dafür angepassten Datenstrukturen noch deutlich verbessern nur ich sehe wirklich nicht, warum man nicht schon den Großteil des Mehrwerts für den Patienten mit einfachen Dokumenten heben kann. Texterkennung + ordentliche Dateistruktur und jeder Arzt der einen Rechner bedienen kann kommt damit klar. Zusammen mit den dazugehörigen ohnehin schon digitalen Messdaten (DICOM und Co), Rezepten und oft eh am Rechner getippten Befunden wäre schon viel erreicht… ohne jeden Entwicklungsaufwand! Warum hat man das nicht schon gemacht? Ich behaupte mal provokant: Weil es nur dem Patienten und dem behandelnden Arzt genutzt hätte – für BigPharma wäre da nichts zu holen.

    Egal ob HighEnd Lösung mit internationalen Standards was die Datenformate und das Wording angeht oder einfache Scans, Entschieden wird die Mächtigkeit einer solchen Lösung allein über den Content und da sind wir beim Thema Datenschutz. Die eben beschriebene lowtech-Lösung ist ja sogar unbedenklicher, da sie noch meilenweit von einer live-Anbindung an Pulsmesser mit GPS oder sonstwas hat. Wenn man also nichtmal einen Ordner mit gescannten PDFs hinbekommt den Ärzte auf Freigabe des Patienten (Token + Passwort (salt) einsehen können, dann sehe ich schwarz für die fancy Lösungen die einem fürs 21. Jahrhundert eigentlich vorschweben.

    Ich bin ein großer Freund des BigData Ansatzes und ich würde mich freuen wenn die Forscherkollegen in der Medizin mit einer solch mächtigen Datenbasis arbeiten könnten. Ich finde es aber äußerst auffällig, dass die Thematik der eAkte so lange brach lag obwohl sie auch in einer einfachen Ausführung Patienten und Ärzten schon im Einzelfall geholfen hätte – weniger Mehrfachuntersuchungen, weniger nur halb benutzte Rezepte usw. hätten dem Gesamtumsatz der Branche aber sicher nicht nach oben gepusht. Bei BigData geht es jetzt plötzlich schneller mit der Debatte. Die Begehrlichkeiten diese Datensätze betreffend schießen aus dem Boden.
    Gewagte These: Hier kann man halt richtig Geld machen. Ob als Startup oder Pharmakonzern. Der eine liefert die Technik fürs Datensammeln, der andere analysiert und entwickelt aufgrund der endlich guten Statistik tolle Medikamente. Ich frage mich ob irgendjemand dafür sorgt, dass die Konzerne für diesen (hoffentlich ordentlich anonymisierten) Datenschatz auch die hunderte Milliarden bezahlen, die sie durch die Analysen gewonnen Erkenntnisse durch teure, neue Medikamente wieder reinholen werden. Die Privatisierung der Gewinne (Erkenntnisse aus zu günstigen Daten aller Menschen) und die Sozialisierung der Verluste (hohe Preise für die daraus resultierende verbesserte Medizin) wird hier mit schon an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf neue Spitzen getrieben werden können.

    Abschließend:
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    Ich denke es ist klar, wie groß die Interessenskonflikte hier potentiell sind. Zum Ende einer jeden Diskussionsrunde diese Themen betreffend tut es wahrscheinlich gut möglichst objektiv zu bewerten ob die Diskussion auch auf Kurs bleibt, nämlich möglichst unmittelbar a) dem Patienten zu helfen und b) die Kosten (also den Gewinn der Medizinbranche) dafür möglichst gering zu halten. Aus dem Grund wäre ich bei dieser gesamten Debatte extrem vorsichtig gegenüber bei der Bewertung unternehmerischer Argumente. Ich habe überhaupt nichts gegen Profit, es gibt jedoch einige Kernleistungen bei denen es moralisch eigentlich nicht vertretbar ist den Gewinn maximieren zu wollen. Kostenneutral bzw. überschaubarer Gewinn muss reichen, denn der primäre Gewinn ist die Gesundheit der Bevölkerung.

    In diesem Sinne: Gutes Gelingen. Ich bin zwar kein Mediziner aber das Thema ist auch in großen Teilen kein rein medizinisches. Interdisziplinäre Debatten sind meistens die schwersten, aber auch oft die ertragreichsten.

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