Politisch ist viel passiert in Sachen Digital Health in der vergangenen Legislaturperiode. Doch die Gestaltungsaufgaben sind naturgemäß längst nicht erledigt. Was also steht an in den kommenden vier Jahren? Was sind die relevanten Digital-Health-Themen? Was muss weiterentwickelt, was etabliert, was angegangen werden? Wir haben das Netzwerk „30 unter 40“ und die Netzwerk-Alumni um ihre Einschätzung gebeten. Herausgekommen sind eine umfassende Themenliste und Prioritäten in verschiedenen Feldern. Am bedeutendsten nach Einschätzung der Fachleute: die flächendeckende Etablierung und der Ausbau der ePA.


Das Netzwerk „30 unter 40“ begleitet seit einigen Jahren die Bertelsmann Stiftung und fungiert unter anderem als eine Art Think Tank für digitale Transformation im Gesundheitswesen. Die darin vertretenen Expertinnen und Experten stammen aus Start-ups, von Leistungserbringern und Kostenträgern, aus Wissenschaft, Journalismus und Politik. Nun haben sie ihre Einschätzung abgegeben zu den wichtigen Digital-Health-Themen der nächsten Legislaturperiode.

Die Befragung erfolgte in zwei Schritten: Zunächst konnten alle Netzwerkmitglieder und Alumni die Themen nennen, die aus ihrer Sicht von besonderer Bedeutung sind. Anschließend wurden die Themen geclustert und die Expertinnen und Experten gebeten, diese nach Relevanz einzuschätzen. Das Ergebnis sind Themen-Rangfolgen in fünf Bereichen: Strategie und Regulatorik, Technologien und Prozesse, Innovationstransfer, „Blinde Flecken“ und „Über den Tellerrand“.

Strategie und Regulatorik

Sie gilt seit vielen Jahren als „Königsdisziplin der digitalen Vernetzung“: die ePA. Entsprechend schätzen es auch die „30 unter 40“ ein. Die flächendeckende Etablierung und der Ausbau der Akte wird als wichtigste Aufgabe in den kommenden vier Jahre gesehen. Fast ebenso bedeutend wird die Nutzbarmachung von Gesundheitsdaten für die Forschung sowie – eine Art Themen-Dauerbrenner – die Herstellung von Interoperabilität eingeschätzt. Letztere wiederum ist Voraussetzung für ein ebenfalls zentrales Thema: die Integration von Einzelprodukten wie ePA, DiGA und E-Rezept zu digitalen Versorgungspfaden. Die TOP 10 in diesem Bereich:

  1. Flächendeckende Etablierung und Ausbau der ePA (8,43)
  2. Nutzbarmachung von Gesundheitsdaten für die Forschung (8,18)
  3. Verbindliche und transparente Vorgaben im Bereich Interoperabilität (8,05)
  4. Etablierung der Digitalisierung von Krankenhäusern im Sinne einer Digitalinfrastruktur (7,42)
  5. Schaffung eines Rechtsrahmens für KI-Anwendungen (7,38)
  6. Integration von Einzelprodukten wie ePA, DiGA und E-Rezept zu digitalen Versorgungspfaden (7,17)
  7. Weiterentwicklung der ärztlichen Bedarfsplanung und Vergütung mit Blick auf Telemedizin (7,13)
  8. Überprüfung der Governance-Struktur für digitale Gesundheit und Festlegung von klaren Rollen und Regeln (6,73)
  9. Sinnvolle Regulierung von Datenschutz (6,7)
  10. Überprüfung und Neuaufstellung des Innovationstransfers nach geförderten Pilotprojekten (6,6)

In Klammern steht jeweils der Mittelwert der eingeschätzten Relevanz auf einer Skala von 1 bis 10. Dabei steht die 1 für „gar nicht bedeutend“, die 10 für „sehr bedeutend“.

Technologien und Prozesse

Bei den Technologien und Prozessen werden von den Expertinnen und Experten insbesondere Weiterentwicklungen im Kontext der Telematik-Infrastruktur als bedeutend angesehen. Die TOP 5:

  1. Einführung einer digitalen Versicherten-Identität und Definition des Verhältnisses zu einer digitalen Bürger-Identität (7,81)
  2. Einführung, Konsolidierung und Vernetzung der TI-Fachanwendungen (7,33)
  3. Grundsätzlicher Technologiesprung der Telematik-Infrastruktur (7,24)
  4. Entwicklung einer digitalen Pflegedokumentation und Anbindung an die ePA (7)
  5. Anbindung von Telemedizin und Telemonitoring an die Telematik-Infrastruktur (6,88)

Innovationstransfer

Was muss passieren, damit digitale Lösungen dauerhaft im Versorgungsalltag ankommen? Für die „30 unter 40“ ist dies vor allem der Nutzennachweis über Studien und den Einsatz in der Praxis. Zudem werden zwei Themen genannt, die eng zusammenhängen: Die Anpassung der Implementierungsprozesse und die Akzeptanzförderung bei Leistungserbringern. Die TOP 5:

  1. Nutzennachweis über Studien und Praxiseinsatz (7,67)
  2. Überprüfung und Anpassung der Implementierungsprozesse bei Leistungserbringern (7,57)
  3. Akzeptanzförderung bei Leistungserbringern (7,5)
  4. Integration von neuen Lösungen in vorhandene Lösungen (keine proprietären Ansätze) (7,21)
  5. Überprüfung und Anpassung der Vergütung und Abrechenbarkeit (7,19)

Blinde Flecken

Und welche Themen sind bislang in der öffentlichen und politischen Diskussion unterbelichtet? Hier steht in der Skala die 1 für „gar nicht unterbelichtet“ die 10 für „sehr unterbelichtet“.

  1. Zuständigkeits-Vielfalt bei Datenschutzregelungen und Aufsicht (7,5)
  2. Nutzenstiftende Lösungen im organisatorisch-administrativen Bereich (7,31)
  3. Qualität der Datenerhebung zum Beispiel bei Diagnose-Codierungen („Garbage in, Garbage out“) (7,25)
  4. Digitale Prozesse und Lösungen für weitere Leistungserbringer neben Medizin und Pharmazie (7,23)
  5. Praktischer Nutzen digitaler Lösungen für Patientinnen und Patienten (7,13)

Über den Tellerrand

Zuletzt dann noch der Blick über den Tellerrand. Was sind die bedeutenden politischen Gestaltungsaufgaben im Gesundheitswesen jenseits digitaler Gesundheit? Genannt wurden auch und vor allem Themen, deren Fortschritt wiederum eng mit dem digitalen Wandel zusammenhängt. Ein Fingerzeig dafür, dass Digitalisierung längst kein „Spezialthema“ mehr ist, sondern eine zentrale Grundlage für die Transformation des Gesundheitswesens hin zu einer besseren und effizienteren Versorgung. Die TOP 5 in diesem Bereich:

  1. Ausbau der interprofessionellen Versorgung (8,38)
  2. Überwindung der Sektorengrenzen (8,36)
  3. Reduktion sozialer Ungleichheiten und Ausbau der Teilhabe (7,93)
  4. Stärkung des Public-Health-Ansatzes (7,86)
  5. Stärkung des Pflegeberufs (7,81)

 

Die vollständigen Themen-Listen aus den fünf Bereichen finden sich in diesem Dokument zum Download.