Das Bundesgesundheitsministerium hat den Startschuss für eine deutsche Digital-Health-Strategie gegeben. Damit soll Deutschland an jene Länder anschließen, die ihre Gesundheitssysteme bereits erfolgreich digitalisiert haben. Grund für uns, einen genaueren Blick auf die nationalen Strategien fünf solcher Länder zu richten – und Good Practices zu identifizieren. Das Ergebnis unserer Analyse zeigt vor allem eines: Eine Strategie muss klare Verantwortlichkeiten bei der Steuerung und Umsetzung definieren sowie die Endnutzer bei der Evaluierung kontinuierlich einbinden.


Vorreiter oder Nachzügler? Während zahlreiche Länder in der EU und der OECD die Digitalisierung ihres Gesundheitswesens in den vergangenen Jahrzehnten bereits vorangetrieben haben, hinkte Deutschland lange Zeit hinterher. In unserer Studie #SmartHealthSystems aus dem Jahr 2018 hatten wir bereits analysiert, was die Vorreiternationen vor allem eint: Die meisten von ihnen haben eine nationale Strategie zur Digitalisierung des Gesundheitssystems entwickelt. In manchen Ländern wie Dänemark geht diese Strategie bereits in die fünfte Auflage. Jetzt schließt Deutschland an diese Länder an, und das Bundesgesundheitsministerium (BMG) bringt die erste nationale Digital-Health-Strategie auf den Weg: In einem partizipativen Prozess will das BMG erheben, was für eine erfolgreiche Digitalisierung in den kommenden Jahren nötig ist. Bis zum Ende des Jahres soll die Strategie ausformuliert sein.

Doch welche Faktoren sind es, die zu einem Erfolg einer solchen Digital-Health-Strategie führen? Um diese Frage zu beantworten, haben wir erneut den Blick auf fünf Vorreiternationen gerichtet: Im Auftrag der Bertelsmann Stiftung hat die Bonner Gesellschaft für Kommunikations- und Technologieforschung empirica die Strategien Dänemarks, Finnlands, der Niederlande, Österreichs und Portugals analysiert und eine Reihe von Interviews mit Expertinnen und Experten aus den jeweiligen Ländern geführt. Das Ergebnis der Analyse ist ein Impulspapier für die zukünftige Digital-Health-Strategie Deutschlands. Im Fokus stehen dabei die thematischen Schwerpunkte der verschiedenen Länderstrategien, die darin definierten Prozesse und zuständigen Institutionen – sowie Handlungsempfehlungen, die sich daraus für das Gelingen der deutschen Strategie ableiten lassen.

Messbare Ziele für eine Digital-Health-Strategie

Die Strategien der fünf Länder zeigen: Es genügt nicht, einfach nur eine politische Vision für die Verfügbarkeit digitaler Dienste in der Gesundheitsversorgung zu haben. Umsetzbar und ganzheitlich sind Digital-Health-Strategien nur, wenn sie an übergeordnete gesundheits- und sozialpolitische Ziele anknüpfen, die auch messbar sind. Wie zum Beispiel die Verbesserung der Früherkennung von Krankheiten anhand definierter Messwerte. Oder die messbaren Vorteile für die Forschung, die durch die Nutzung von Daten aus elektronischen Patientenakten (ePA) entstehen. Aufgabe der Gesundheitspolitik ist es demnach, Roadmaps mit zeitlichen Vorgaben zu definieren – also Leitfäden, Handlungsanweisungen und Aktionspläne für die wichtigsten Akteure im Gesundheitswesen. Solche Roadmaps sorgen schlussendlich dafür, dass die nötigen Maßnahmen zur Erreichung der Ziele auch umgesetzt werden.

Eine ganzheitliche Digitalisierungsstrategie für das deutsche Gesundheitswesen sollte zudem (1) von einer europäischen Ebene, (2) einer nationalen Ebene und (3) einer sektoralen Ebene aus betrachtet werden (siehe Abbildung). Der Grund: Spätestens seit der Veröffentlichung des Entwurfs zum Europäischen Gesundheitsdatenraum ist deutlich, dass die EU-Kommission ihren Einfluss auf nationale Digitalisierungsentwicklungen in den Mitgliedsstaaten durch Mindestvorgaben für die ePA erweitert. Im Entwurf finden sich auch erste Voraussetzungen für einen europäischen Digital-Health-Markt. Auf nationaler Ebene sind die einzelnen Akteure (Bundesregierung, BMG, Bundesärztekammer, Selbstverwaltungskörperschaften etc.) gefragt, zusammen an einer gemeinsamen Strategie für das deutsche Gesundheitswesen zu arbeiten. Für die konkrete sektorale Umsetzung und Überwachung der Strategie und ihrer Inhalte müssen Mandate für Systemakteure (z. B. gematik, Krankenkassen) geschaffen und eine effektive Governance ausgebaut werden.

Klare Verantwortlichkeiten bei Steuerung und Umsetzung der Strategie

Aus den Strategien Dänemarks, Finnlands, der Niederlande, Österreichs und Portugals wird auch ersichtlich: Um eine ganzheitliche Digitalisierungsstrategie zum Erfolg zu führen, ist eine klare Zuordnung von Verantwortlichkeiten für die Umsetzung und Weiterentwicklung der Strategie essenziell. Hierzulande könnte dies beispielsweise ein spezielles Strategie- und Steuerungsgremium übernehmen. Ein solches Gremium müsste Vertreter aus Politik, Selbstverwaltung und gematik einbinden. In Dänemark etwa sind das Monitoring der Strategieumsetzung, die übergreifende Koordinierung und der Austausch zwischen den beteiligten Akteuren in einem nationalen E-Health-Board verankert. Dort kommen Regionen, Regierung und Ärzteschaft jährlich zusammen und prüfen und priorisieren gemeinsame Vorhaben, um gegebenenfalls Anpassungen vorzunehmen. Wichtig ist: Die Digitalisierung muss langfristig gesichert sein. Erfahrungen aus den untersuchten Ländern haben gezeigt, dass die Digitalisierung in politisch turbulenten Zeiten besonders dann vernachlässigt wird, wenn das Strategie-Monitoring in die Hände von einzelnen Behörden oder Ministerien gelegt wird, wenn deren Vertreter wahlbedingt in kurzen Intervallen wechseln.

Ausreichende Mittel für die operative Steuerung

Bei der operativen Steuerung sollte zudem darauf geachtet werden, dass nachgelagerte Behörden, Gremien und Institutionen, die für die Umsetzung der Strategie zuständig sind und Projekte managen, mit ausreichenden personellen Ressourcen ausgestattet werden. Diese sollten in einer Strategie von Anfang an bedacht werden. In Dänemark, Portugal und Österreich tragen E-Health-Agenturen die übergreifende Verantwortung für die operative Steuerung. Diesen stehen hinreichend personelle und finanzielle Mittel zur Verfügung.

Klare Roadmaps und Einbindung der Endnutzer bei der Evaluierung

Einen Aspekt hat die Analyse der fünf Nationen besonders hervorgebracht: Parallel zur E-Health-Strategie an sich, sollten die Autoren eine Roadmap formulieren – mit konkreten Umsetzungsplänen sowie einem Zeitrahmen und die Übertragung von Verantwortlichkeiten für bestehende und zukünftige Vorhaben. Diese Roadmap sollte auch die Dokumentation bestehender und künftiger Vorhaben vorsehen, die zur Bedarfsermittlung, Priorisierung und anschließenden Umsetzung wesentlich sind. Dazu gehört auch ein Benchmarking erfolgreicher lokaler oder regionaler Projekte, um skalierbare Best Practices zu identifizieren.

Wichtig aber ist nicht nur eine klare Roadmap an sich. Ebenso elementar ist es, dass sie nicht in Stein gemeißelt sein darf, sondern kontinuierlich evaluiert werden sollte, um bei Bedarf Anpassungen an die Strategie zu ermöglichen. Wobei Evaluierungsprozesse dann am besten gelingen, wenn die Endnutzer – also Leistungserbringer ebenso wie Patientinnen und Patienten – fortlaufend darin eingebunden werden.

Die Niederlande beispielsweise haben dafür eigens das Format eines „E-Health-Monitors“ eingeführt: Darin werden jährlich qualitative und quantitative Daten zur Nutzung von E-Health-Angeboten und zu den Erfahrungen von Leistungserbringern erhoben. Als Indikatoren dienen etwa Werte zur Versorgungsqualität, digitalen Kompetenzen oder regulatorischen Rahmenbedingungen. Solche partizipatorischen Prozesse tragen erheblich zur Zufriedenheit der Anwender bei.

Anbindung an Europa sicherstellen

Zu guter Letzt kann Deutschland auch auf EU-Ebene strategisch von anderen Mitgliedsstaaten lernen: Besonders die verbindliche Nutzung offener, international anerkannter Standards hat sich auf den Digitalisierungsfortschritt des Gesundheitswesens positiv ausgewirkt – und gleichzeitig die Voraussetzung für den grenzüberschreitenden Gesundheitsdatenraum geschaffen. Was sind Best Practices und Faktoren für erfolgreiche E-Health-Strategien? Wie funktioniert der Erfahrungsaustausch in europäischen Netzwerken? Welche Erkenntnisse lassen sich aus EU-geförderten Projekten gewinnen? Fragen wie diese sollten in der deutschen Strategie adressiert werden. Denn eine aktive Teilnahme an EU-Entwicklungen als solche kann ein Antriebskraft für das Gelingen der deutschen E-Health-Strategie sein.