In unserer Studie #SmartHealthSystems analysieren wir 17 Länder zum Stand der Digitalisierung im Gesundheitswesen. Fünf Länder davon haben wir bereist – und nehmen diese genauer unter die Lupe. Wir fragen nach politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Erfolgsfaktoren sowie Hindernissen für eine erfolgreiche Digitalisierungsstrategie. Die vollständigen Ergebnisse der internationalen Vergleichsstudie stellen wir im November 2018 vor. Bis dahin veröffentlichen wir nach und nach interessante Erkenntnisse aus den untersuchten Ländern hier bei uns im Blog.


Israel verfügt über große Innovationskraft, wenn es um den Transfer digitaler Lösungen in die Regelversorgung geht. Israelische „Health Maintenance Organizations“ (HMO) wie Maccabi sind international Vorreiter bei der Implementierung von Digital Health. Prof. Nachman Ash und Dr. Rachelle Kaye von Maccabi berichten im Interview, welche digitalen Anwendungen Patienten und Ärzten in der HMO zur Verfügung stehen. Sie betonen, dass der digitale Zugang zu Gesundheitsinformationen nutzerfreundlich und verlässlich sein muss. Für die Zukunft prognostizieren sie mehr Empowerment von Patienten durch die Verwendung von Daten, die Patienten selbst erhoben haben – und durch die Verbindung von digitalen Gesundheitsdiensten mit leicht zugänglichen Messaging-Anwendungen.

Warum hat Maccabi digitale Lösungen für die Gesundheitsversorgung entwickelt?

Maccabi war eine der ersten Gesundheitsorganisationen weltweit, die mit der Digitalisierung ihrer administrativen und klinischen Systeme begonnen hat – und eine der ersten, die eine unternehmensweite elektronische Patientenakte eingeführt hat. Dieser Prozess begann 1984. Seit 1994 benutzen alle Ärzte innerhalb des Maccabi-Systems diese elektronische Akte.

Wir haben uns auf diese Reise wegen der Erkenntnis begeben, dass Digitalisierung und klinische Entscheidungshilfen angesichts der rasanten Entwicklungen im modernen Gesundheitswesen nötig sind – das schließt das explosionsartig wachsende medizinische Wissen und die zunehmende Komplexität des Organisationsmanagements ein.

Zu Beginn war es unser Hauptziel, digitale Lösungen zur Unterstützung unserer Ärzte zu entwickeln. Nachdem die Verschreibung von Medikamenten, Bildgebungsdienste und Labore digitalisiert waren, wurden alle diese Dienste in die elektronische Akte integriert.
Dem Arzt liegen dadurch alle detaillierten Informationen, die seinen Entscheidungsprozess unterstützen, in Echtzeit vor. 2001 wurde diese Vision auf unsere Mitglieder ausgeweitet, die immer im Mittelpunkt des Gesundheitsversorgungsprozesses stehen: Wir haben ‚Maccabi Online‘ geschaffen – das Patientenportal von Maccabi. Es ermöglicht dem Patienten Zugang zu seinen medizinischen Informationen und anderen Online-Diensten.

Welche Art von digitalen Diensten für Patienten hat es in die Regelversorgung von Maccabi geschafft?

Es gibt ein breites Spektrum an Diensten, das den Patienten zur Verfügung steht, wie das Maccabi-Patientenportal. Über das Portal können sie auf ihre medizinischen Informationen zugreifen, Termine vereinbaren, maßgeschneiderte Empfehlungen zur Prävention und Früherkennung sowie Empfehlungen für die Behandlung chronischer Krankheiten erhalten. Es ermöglicht den Patienten, virtuelle Besuche beim Arzt mit digitaler Anforderung und Entgegennahme von Rezepten sowie Überweisungen und Benachrichtigungen.

Für Patienten in entlegenen Gegenden ist es möglich, sich telemedizinisch behandeln zu lassen und eine fachärztliche Beurteilung zu erhalten; zum Beispiel in Form von
Tele-Dermatologie oder Tele-Ultraschall-Untersuchungen.

Patienten können zudem mobil auf das Portal zugreifen, mit all den gerade beschriebenen Anwendungen. Das Portal versendet auch SMS- und E-Mail-Erinnerungen für Termine sowie Präventionshinweise, etwa Erinnerungen an Grippeschutzimpfungen. Die Maccabi-Website vermittelt Informationen über die verfügbaren Dienste des Portals sowie Gesundheitsinformationen, Informationen zu laufenden Updates und Schnittstellen zum Maccabi-Service-Verzeichnis und natürlich zum Patientenportal selbst. Außerdem können Patienten Reiseversicherungen abschließen und andere Online-Dienste in Anspruch nehmen.

Darüber hinaus gibt es Patienten-Apps, zum Beispiel ein Schwangerschaftstagebuch, eine Diät-App und zudem seit Kurzem die App ‚K‘ – Patienten erhalten darüber Ratschläge, indem sie sich mit anderen Patienten mit gleichen Merkmalen in der Maccabi-Datenbank abgleichen können.

Welche Art von digitalen Diensten bietet Maccabi dem Gesundheitspersonal an?

Ähnlich wie den Patienten stehen auch den Ärzten verschiedene digitale Dienste zur Verfügung.  Wie erwähnt gibt es eine umfassen elektronische Patientenakte. Der Arzt hat damit in Echtzeit Zugriff auf alle Informationen, die von anderen Ärzten eingegeben worden sind – einschließlich der verschriebenen Medikamente, Laborergebnisse, anderer diagnostischer Testergebnisse und Krankenhausbesuche des Patienten. Darüber hinaus gibt es ein ausgereiftes System klinischer Entscheidungshilfen, welches auf Basis der erwähnten Datenbank Unterstützung bei der Verschreibung von Medikamenten bietet und Warnmeldungen sowie Erinnerungen an diagnostische Tests und präventive Maßnahmen bereitstellt –  anhand der Diagnosen, Probleme und den demografischen Daten des jeweiligen Patienten.

Zudem werden Ärzte bei der Behandlung chronischer Krankheiten durch einen ‚Big Data‘-Ansatz in Form eines Zugangs zu digitalen medizinischen Registern unterstützt. Telemedizin hilft bei Diagnose und Behandlung: Beispielsweise werden EKGs direkt an ein EKG-Auswertungszentrum übermittelt, welches die Auswertung innerhalb von zehn Minuten zurückmeldet. Ebenso werden Röntgenbilder sofort in die elektronische Krankenakte übertragen. Und schließlich haben auch Ärzte einen mobilen Zugriff auf die elektronische Patientenakte ihrer Patienten.

Welche digitalen Anwendungen haben sich in der Regelversorgung als „erfolgreich“ erwiesen und warum?

Zwei digitale Anwendungen bilden letztlich die Grundlage und Infrastruktur für alle anderen digitalen Dienste, sowohl für Ärzte als auch für Patienten. In diesem Sinne sind sie erfolgreichsten digitalen Anwendungen. Für Ärzte ist das die umfassende und integrierte elektronische Patientenakte mit ihren klinischen Entscheidungshilfen, für Patienten ist das der Maccabi-Onlinedienst.

Das Vertrauen der Bürger ist entscheidend, wenn es um digitale Gesundheit geht. Wie konnte dieses Vertrauen aufgebaut werden?

Vertrauen in digitale Gesundheit entsteht durch stabile, sichere und nutzerfreundlichen digitale Dienste. Die Grundlage bildet aber letztlich das Vertrauen in die Organisation an sich. In regelmäßigen Umfragen stehen Krankenkassen in Israel immer ganz oben auf der Liste der vertrauenswürdigsten Organisationen. Zum Beispiel können Maccabi-Mitglieder ihre Ärzte und anderes Gesundheitspersonal während des Besuchs bei der Eingabe von Informationen in die elektronische Patientenakte beobachten – so dass sie wissen, dass die Daten aus einer vertrauenswürdigen Quelle stammen. Sie wissen auch, dass es Maßnahmen gibt, um Vertraulichkeit und Privatsphäre zu gewährleisten. Der Patient muss seine eigene Chipkarte einem Arzt übergeben, damit dieser seine Daten eingeben kann. Und der Patient selbst kann nur mit Benutzernamen und Passwort auf seine eigenen Daten zugreifen.

Wie wird sich die Nutzung von Digital Health in Israel in den nächsten Jahren Ihrer Meinung nach entwickeln?

Israel hat mit der vollständigen Digitalisierung all seiner Dienstleistungen begonnen, das schließt die Gesundheitsversorgung mit ein. Das Land hat eine digitale Gesundheitsstrategie formuliert, die den Patienten in den Mittelpunkt eines partizipativen Versorgungsprozesses stellt. Klar ist auch, dass künftige Entwicklungen neue innovative Technologien umfassen werden, wie beispielsweise prädiktive und personalisierte Medizin unter Nutzung von Big Data – aber auch die technologiegestützte integrierte Versorgung. Wir werden sicherlich mehr Empowerment von Patienten und den Aufbau von Partnerschaften mit Patienten in der Versorgung erleben. Dabei werden so genannten PROMs verwendet, also „patient reported data and outcomes“ –  patientenbezogene Daten und Ergebnisse.

Bots und ähnliche Technologien werden den nutzerfreundlichen Zugang zu Gesundheitsinformationen und zur Beratung verbessern. Einfach zu bedienende Apps – ähnlich wie ‚WhatsApp‘ –  werden in die Krankenakte integriert werden, um die Dokumentation in der Akte selbst aber auch Instant Messaging zwischen Patienten und Ärzten sowie der Ärzte untereinander zu erleichtern. Im Bereich der Gesundheitsförderung und des chronischen Krankheitsmanagements werden sicherlich mehr Apps und Wearables zur Fernbeobachtung von Patienten verfügbar sein. Schließlich werden die Diagnosestellung und Behandlung immer mehr durch künstliche Intelligenz unterstützt werden – während der Austausch von Gesundheitsdaten, der sich nicht allein auf elektronische Gesundheitsakten beschränkt, Patienten und Ärzten einen einfacheren Zugang zu Informationen von überall und jederzeit ermöglichen wird.


Prof. Nachman Ash, MD MS MA, erhielt 1986 seinen Doktortitel von der Sackler School of Medicine der Universität Tel Aviv. Zwischen Januar 2012 und Juli 2013 war Prof. Ash im Gesundheitsministerium als leitender stellvertretender Generaldirektor für Gesundheitsinformatik tätig. Im August 2013 kam Prof. Ash als Hauptgeschäftsführer des Sharon-Distrikts zu Maccabi Healthcare Services (MHS). Ein Jahr später wurde er zum Direktor der Gesundheitsabteilung von MHS befördert, wo er bis heute auch als stellvertretender CEO für Gesundheitsfragen tätig ist. Nachman Ash ist Professor an der Universität Ariel.

Dr. Rachelle Kaye ist die internationale Projektkoordinatorin für Assuta Medical Centers und Mitglied des Kernteams für die Implementierung einer digitalen integrierten Versorgung im Assuta Krankenhaus Ashdod, Israels jüngstes öffentliches, universitär angeschlossenes Allgemeinkrankenhaus. Dr. Kaye war stellvertretende Direktorin der medizinischen Abteilung (1984-2003) von Maccabi Healthcare Services. 2004 gründete Dr. Kaye das Maccabi Institute for Health Services Research und war bis 2013 Direktorin des Instituts. Dr. Kaye ist Mitglied des Vorstands von EHTEL (European Health Telematics Association) und berät eine Reihe von israelischen und europäischen Organisationen, insbesondere im Bereich der integrierten Versorgung und E-Health.

Das Interview wurde schriftlich und in englischer Sprache geführt und anschließend übersetzt.

 


Verfolgen Sie die Eindrücke unserer Länderreisen zur Studie bis Ende 2018

Die vollständigen Ergebnisse unserer internationalen Vergleichsstudie stellen wir im November 2018 vor. Bis dahin veröffentlichen wir nach und nach interessante Erkenntnisse und gute Beispiele aus den untersuchten Ländern hier bei uns im Blog.

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