Der digitale Patient“ will sich in einer Debattenreihe den Möglichkeiten und Grenzen von Big Data im Gesundheitswesen konstruktiv nähern. Unser Blog fungiert dabei als Plattform, wir lassen hier Experten aus den verschieden Bereichen zu Wort kommen. Artur Olesch entwarf im vorigen Beitrag ein mögliches Zukunftsszenario in groben Linien darüber, welches Potenzial Big Data für einen Paradigmenwechsel von der Interventionsmedizin hin zur Präventivmedizin haben könnte. Heute bloggt Dr. med. Franz-Joseph Bartmann darüber, wie Big Data bereits aktuell mit konkreten Versorgungszielen im Gesundheitssystem verbunden werden kann, um sinnvolle Anwendungen schneller in den medizinischen Alltag zu integrieren.


Das Thema „Big Data in der Medizin“ springt uns seit einiger Zeit aus diversen Medien entgegen. Irgendwo zwischen Hoffnung und überschätztem Hype wird das Thema sehr theoretisch diskutiert. Wenngleich im breiten Versorgungsalltag bisher keine sichtbaren Anwendungen  angekommen sind, übt das Thema natürlich eine ungeheure Faszination auf mich aus – als Arzt – und – qua Amt – auch in meiner Rolle als Vorsitzender des Ausschusses Telematik der Bundesärztekammer.

Die Möglichkeiten, aus unstrukturierten großen Datenmengen, die wir reichlich in der Medizin haben, über neue statistische Methoden und maschinelles Lernen einen neuen Wissenszugang zu erlangen, bergen zweifelsohne ein phantastisches Potential für die Patientenversorgung. Die vielfältigen Chancen und – ebenso wichtig – Limitationen und Risiken sind in diesem Blog bereits angesprochen worden.

From chip to bedside

Maschinelles Lernen wird praxistauglich

Neben den vielversprechenden Projekten im Bereich der Onkologie hat mich kürzlich ein Anwendungsbeispiel beeindruckt, das auf der Eröffnungsveranstaltung der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie durch Prof. Müller von der TU Berlin demonstrierte wurde. Er berichtete über die Weiterentwicklung eines sogenannten Brain-Computer-Interface. In einem Video zeigte er, wie ein Proband (er selbst!) innerhalb von fünf Minuten lernt, bei dem berühmten Videospiel Pong den Schläger über den Bildschirm zu steuern. Im Unterschied zu dem Drehregler, mit dem man das aus den 70er Jahren stammende Spiel steuerte, wurde der Schläger allerdings Kraft der Gedanken via eines abgeleiteten EEGs gesteuert! Das EEG-Signal wird mit Methoden des maschinellen Lernens analysiert und zur Steuerung des Spiels in Echtzeit eingesetzt.

Betrug früher die Trainingszeit für ähnliche Systeme noch mehrere hundert Stunden, wird diese Aufgabe mittlerweile von leistungsfähigeren Systemen und Algorithmen in wenigen Minuten erledigt. Bei diesem faszinierenden Anwendungsbeispiel fällt die Übertragung in die gesundheitliche Versorgung jedem Arzt sehr leicht – mit dieser Technik scheint sich ein Tor zu einer völlig neuen Art von Prothesen bzw. zur Versorgung von Lähmungen zu öffnen.

Den Nutzen von Big Data endlich in die Versorgung bekommen

Durch das konkrete Beispiel mit direktem Bezug zur Patientenversorgung hat sich meine Sicht auf das Thema von einer eher abstrakt-wissenschaftlichen Faszination hin zum medizinischen Potential verschoben: Sofort fallen dem Arzt diverse Patienten ein, denen damit geholfen werden könnte. Insgesamt täte es der Diskussion des Themas Big Data in der Medizin gut, weniger auf der Basis von teuren Studien mit eher abstrakt dargestellten Chancen und Potentialen mit vielen bunten Schaubildern zu diskutieren, als viel deutlicher unter dem Blickwinkel konkreter Versorgungsziele oder medizinischer Forschungsvorhaben.

Das altbekannte Problem des Transfers von „bench to bedside“ zeigt sich dabei in abgewandelter Form als Transfer von „chip to bedside“. Hier braucht es bei der Festlegung der Forschungsschwerpunkte und bei der Interpretation der Resultate medizinischen Sachverstand – den ärztlichen Blick. Das Förderkonzept Medizininformatik des BMBF ist im Hinblick auf die Entwicklung in diesem Bereich ein Schritt in die richtige Richtung: Die kombinierte Qualifikation aus Medizin und Medizininformatik ist notwendig, um den Nutzen von Big Data in die Patientenversorgung zu bekommen.


Im nächsten Beitrag wird Ekkehard Mittelstaedt über das Erfordernis einer einheitlichen Infrastruktur für Big Data im Gesundheitswesen bloggen.

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