Um Patienten besser in ihre Therapie einzubinden, hat man an der Berkeley School of Social Welfare der University of California einen auf Algorithmen basierten SMS-Nachrichtendienst entwickelt. Er soll dabei helfen, die Behandlung von Depressionen bei Angehörigen ethnischer Minderheiten (u.a. Lateinamerikaner) und sozialer Schichten mit niedrigem Einkommen zu verbessern. Die Patienten werden so bei ihren Hausaufgaben, der regelmäßigen Teilnahme an Sitzungen und der Medikamenteneinnahme unterstützt. Wir haben Adrian Aguilera, Leiter des Programms, nach seinen Erfahrungen mit der digitalen Therapieunterstützung gefragt.


Was hat Ihr Team dazu bewegt, einen Algorithmus und eine digitale Anwendung zur Unterstützung der psychotherapeutischen Behandlung zu entwickeln?

Dr. Adrian Aguilera (Foto: privat)Aguilera: „Reale und nachhaltige psychologische Veränderungen sowie Verhaltensänderungen passieren im Alltag, nicht einfach während einer einstündigen Therapiesitzung. Wir wollten daher den Leuten helfen, sich kontinuierlich an ihre in der kognitiven Verhaltenstherapie erworbenen Fähigkeiten im Alltagsleben zu erinnern und diese einzuüben. Außerdem möchten wir die Teilnahmeraten und die Anzahl der Teilnehmer, welche die Therapie erfolgreich abschließen, erhöhen. Denn unregelmäßige Teilnahme und Abbruch der Therapie erweisen sich generell als problematisch und sind ausgeprägter bei Patienten aus Schichten mit niedrigerem Einkommen.“

Wie genau unterstützt eine solche digitale Lösung denn die Psychotherapie?

Aguilera: „Wir haben eine Plattform für automatische Textnachrichten entwickelt, welche die Patienten täglich nach ihrer Stimmung fragt, ihnen eine Rückmeldung dazu gibt und die Bemühungen des Einzelnen stärken soll. Wir schicken den Patienten auch Nachrichten um sie zu ermutigen, neu erlernte Fähigkeiten zu üben. Wenn wir beispielsweise gelernt haben, dass das Ausüben einer neuen Tätigkeit hilft, Symptome einer Depression zu meistern, können wir so den Einzelnen dazu anhalten, einen Spaziergang zu machen oder einen Partner zu finden, um einer neuen Tätigkeit nachzugehen.“

Zeigten sich denn kulturelle Unterschiede bei der Nutzung der App? Und wenn ja, welche?

Aguilera: „Wir arbeiten hauptsächlich mit Spanisch sprechenden Lateinamerikanern aus den USA, aber auch mit einigen Englisch sprechenden Patienten. Als wir nachgeprüft haben, warum die jeweilige Gruppe die Anwendung mag, gaben Spanisch sprechende häufig an, dass das Programm ihnen dabei hilft zu fühlen, dass man sich um sie kümmert und sie unterstützt. Englische Muttersprachler unterstrichen eher die Vorteile der Introspektion und der Selbsterkenntnis durch die Anwendung. Das war ein interessantes Ergebnis – und es scheint durchaus sinnvoll vor dem Hintergrund der Unterschiede zwischen einer eher dominant individuell geprägten europäisch-amerkanischen Kultur und der eher kollektiv und auf die Beziehungsebene ausgerichteten lateinamerikanischen Kultur.“

Welche Hürden sollten angegangen werden, um digitale Lösungen in der psychotherapeutischen Behandlung in größerem Umfang zugänglich zu machen?

Aguilera: „Wir denken, dass Technologie für einen besseren Zugang zur Versorgung im Bereich der geistigen Gesundheit und Psychotherapie genutzt werden sollte. Psychotherapie ist noch relativ teuer [in den USA] und wird eher von Menschen mit höherem Einkommen genutzt. Hier können digitale Technologien dafür sorgen, einerseits mehr Angebote für mehr Menschen bereitzustellen und andererseits bereits existierende Interventionen zu verbessern; denn diese sind vor allem in den USA oftmals von einer minderen Qualität im Bereich der öffentlichen Versorgung und in Settings mit vielen Geringverdienern.“

Warum scheinen Ihrer Erfahrung nach digitale Lösungen gerade in der Psychotherapie so gut zu funktionieren?

Aguilera: „Der Hauptvorteil einer Verbindung digitaler Lösungen mit der Psychotherapie liegt darin, die Arbeit aus den Therapiesitzungen zu ergänzen. Ein zusätzlicher Vorteil ist, dass digitale Lösungen die unterstützende Beziehung [zwischen Therapeut und Patient] stärken, welche der Schlüssel zu einer erfolgreichen Therapie ist. Je automatisierter diese digitalen Anwendungen sind, desto größer ist die Reichweite eines einzelnen Therapeuten, um mit mehr Patienten in kürzerer Zeit über die Therapie von Angesicht zu Angesicht hinaus in Kontakt zu treten. Wie bereits erwähnt müssen psychologische und Verhaltensänderungen im Alltag der Patienten geschehen. Und gerade digitale Anwendungen sind für die meisten Menschen heutzutage ein integraler Bestandteil ihres Lebens.“

Wo liegen Ihrer Einschätzung nach die Grenzen für die Nutzung digitaler Lösungen in der Psychotherapie?

Aguilera: „Wir wissen, dass bei digitalen Anwendungen, welche ohne jeglichen menschlichen Kontakt oder menschliche Unterstützung betrieben werden, die Leute sehr häufig abspringen. Daher ist es wichtig, Menschen zu integrieren, um die Wirkung digitaler Lösungen auch nachhaltig zu machen. Algorithmische Anwendungen sind auch deswegen vielversprechend, weil sie flexibel sind und ans Individuum angepasst werden können; allerdings werden einige von der Tatsache, dass kein menschliches Wesen die Nachrichten schickt, abgeschreckt. Dieser Nachteil kann aber ausgeglichen werden, indem eindeutig ein Therapeut oder eine andere unterstützende Person Teil der digitalen Intervention ist. Für mich liegt der Schlüssel darin, eine möglichst effiziente Mischung zwischen dem Menschlichen und der Technologie zu finden.“


Weiterführende Literatur

  • Aguilera, A., Bruehlman-Senecal, E., Demasi, O., & Avila, P. (2017). Automated Text Messaging as an Adjunct to Cognitive Behavioral Therapy for Depression: A Clinical Trial. Journal of medical Internet research, 19(5).
  • Aguilera A, Berridge C. Qualitative Feedback From a Text Messaging Intervention for Depression: Benefits, Drawbacks, and Cultural Differences. Eysenbach G, ed. JMIR mHealth and uHealth. 2014;2(4):e46. doi:10.2196/mhealth.3660
  • Aguilera, A. Digital Technology and Mental Health Interventions: Opportunities and Challgenges, ARBOR Ciencia, Pensamiento y Cultura, 2015; Vol. 191-77. doi: http://dx.doi.org/10.3989/arbor.2015.771n1012

Dr. Adrian Aguilera (@draguilera) ist Assistant Professor an der School of Social Welfare der University of California, Berkeley. Er befasst sich mit der Nutzung von Digital Health und mobilen Technologien zur Verbesserung von (mentaler) Gesundheit bei ethnischen Minderheiten und Menschen mit niedrigem Einkommen. Das Interview wurde in englischer Sprache geführt und anschließend übersetzt.

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