Auch die Arzt-Patient-Kommunikation wird – einer logischen Entwicklung folgend – digital. So lautete unsere Vermutung, die wir zum Thema Video-Sprechstunden kürzlich in unserem Blog geäußert haben. Dabei haben wir festgestellt, dass Ärzte eine vergleichsweise zurückhaltende Einstellung zur Online-Sprechstunde haben. Als Diskurs-Plattform wollen wir nun die ärztliche Perspektive selbst hören und haben beim Präsidenten des Berufsverbandes Deutscher Dermatologen, Dr. Klaus Strömer, nachgefragt.


Der BVDD hat das Thema „Video-Sprechstunden“ in einem Pilotprojekt systematisch aufgegriffen. Was ist Ihre Motivation, was spricht für diesen Kanal?

Strömer: „Die Dermatologie ist ein optisch geprägtes Fach und damit in gewissen Bereichen prädestiniert für die Nutzung neuer Medien. In den letzten Jahren erleben wir zunehmend, dass ausländische Angebote mit Internet-Plattformen und Gesundheits-Apps den Markt erobern. Die gewohnte fachärztliche Qualität bleibt dabei jedoch häufig auf der Strecke. Wir wollen uns in die Entwicklung einbringen, um als Experten für die Haut eine Qualitätsdiskussion anzustoßen und Qualitätsstandards zu definieren, die dem Patienten die Sicherheit geben, die er von seinen klassischen Arztkontakten gewohnt ist.“

Welche Erfahrungen machen Sie bislang? Wie reagieren die Patienten, wie die teilnehmenden Ärzte?

Strömer: „Die Technik ermöglicht heute bereits einen akzeptablen Sicherheitsstandard, die erforderliche Bildqualität und erledigt die mit einer Video-Sprechstunde verbundenen administrativen Aufgaben. Die Patienten gehen sehr unterschiedlich mit den neuen Angeboten um. Grundsätzlich besteht ein hohes Maß an Verständnis für die Nutzung der neuen Medien. Im Einzelfall überwiegt allerdings nicht selten noch die Skepsis, ob im persönlichen Fall eine Behandlung per Webcam den direkten Arztkontakt ersetzen kann.

Die teilnehmenden Ärzte lernen noch. Sie müssen die richtige Auswahl bei ihren Patienten treffen, den richtigen Umgang mit dem Bildschirm-Kontakt für sich finden, die Patienten aufklären und vor allem ihre Sprechstunde so strukturieren, dass die Terminvermittlung und -durchführung so reibungslos in den Alltag eingebunden ist wie die klassischen Termine.“

Die allermeisten Ärzte stehen dem Kanal „Video“ noch skeptisch bis ablehnend gegenüber. Woran liegt das aus Ihrer Sicht?

Strömer: „Ärzte in Deutschland haben im Gegensatz zu anderen Ländern durch die ungesteuerte und ungebremste Inanspruchnahme ihrer Leistungen schon jetzt eine extrem hohe Leistungsdichte. Zusätzliche Patienten können von vielen nicht mehr verkraftet werden. Das Verständnis einer Entlastung durch reduzierte Sprechstundenzeiten muss noch stärker geweckt werden. Derzeit fehlen zudem ausreichende wirtschaftliche Anreize, um sich neuen Strukturen stärker zuzuwenden.“

Wie stehen Sie zum Argument, es brauche noch mehr Evidenz, bevor man eine solche Technologie überhaupt einsetzen kann?

Strömer: „Aktuell haben wir in der Dermatologie eine systematische Literaturrecherche zu dieser Frage durchgeführt. In 67 Originalarbeiten zur Telemedizin in der Dermatologie zu diversen Indikationen zeigte sich die Telemedizin im Vergleich zur klassischen Versorgung gleichwertig oder überlegen. Evidenz ist durchaus vorhanden. Die Evidenz wird nur dadurch belastbarer werden, dass Real-World-Daten den Modellversuchen und regional begrenzten wissenschaftlich begleiteten Studien an die Seite gestellt werden.“

Was ist Ihre Prognose, wann werden Video-Sprechstunden oder ähnliche technologische Neuerungen bei der Mehrzahl der Ärzte selbstverständlich sein? Und was braucht es dafür?

Strömer: „Das wird in hohem Maße davon abhängen, wie attraktiv Gesetzgeber, Kostenträger und Selbstverwaltung die Rahmenbedingungen für eine Nutzung von technologischen Neuerungen gestalten werden. Der Einsatz des Internets für ausgesuchte Teile der Patientenversorgung ist also aus meiner Sicht keineswegs ein Selbstläufer. Zumindest für das Überschreiten der Schwelle in die virtuelle Welt müssen Anreize gesetzt werden. Wenn erst einmal ein beachtlicher Teil der Ärzte die Technologie einsetzt und damit unseren Patienten lange Wege und Wartezeiten erspart, da wo es Sinn macht, dann kann ich mir vorstellen, Anreize auch wieder zurückzufahren. Es geht also nicht um dauerhaft höhere Kosten, sondern um eine Unterstützung der Pioniere und der nachkommenden ersten größeren Welle von innovationsfreudigen Kolleginnen und Kollegen.

Und lassen Sie mich an dieser Stelle auch noch einmal den Blick auf die angeblich mangelnde persönliche Betreuung werfen, die von Kritikern im Rahmen der Internet-Medizin häufig ins Feld geführt wird. Die derzeit bereits in Projekten telemedizinisch betreuten Patienten schätzen insbesondere die höhere Bindung an ihren Arzt und die höhere Sicherheit dadurch, dass sie anders als bisher schnell und ohne größeren Aufwand ihren Arzt erreichen. Voraussetzung ist immer – und das ist eine Kernforderung der Ärzteschaft in Deutschland – dass der Patient dem Arzt bekannt ist, sorgfältig für die neue Form des Kontakts ausgewählt ist und alternativ immer ein direkter Kontakt möglich bleibt. Das ausschließliche Fernbehandlungsverbot macht in diesem Sachzusammenhang großen Sinn. Wir wollen nicht darauf verzichten.“


Dr. Klaus Strömer ist Hautarzt, Allergologe und Umweltmediziner. 2013 wurde er zum Präsidenten des Berufsverbandes Deutscher Dermatologen (BVDD) gewählt, außerdem ist er Landesvorsitzender des BVDD Nordrhein sowie Vorstandsmitglied der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft (DDG).

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