Welche Erwartungen haben Patienten an die Telemedizin? Diese Frage hat uns kürzlich der Bundesverband der Deutschen Dermatologen (BVDD) gestellt. Der Anlass: Ein Symposium mit dem Schwerpunkt „Video-Sprechstunden“. Wir haben versucht, in unserer Präsentation eine einfache Antwort zu geben. Nämlich: Patienten wollen ihren Arzt auch kontaktieren, ohne in die Praxis zu müssen. Weil es zunehmend ihren Kommunikationsgewohnheiten entspricht. Oder weil es für sie gar nicht anders geht. Logische Folge also, dass das schon bald möglich sein wird. Oder?


Die Digitalisierung verändert unsere Kommunikation. Das ist keine aufregende Neuigkeit. Das sollte aber noch einmal gesagt werden, wenn die Frage nach den Erwartungen von Patienten gestellt wird. Ich selbst bin es gewohnt, meine Bankgeschäfte online zu erledigen, kaufe online ein, kommuniziere asynchron per Messenger oder Mail, auch die Online-Geschäftsstelle meiner Krankenkasse ist inzwischen komfortabel. Ich kann also in vielen Fällen selbst bestimmen, wann und wo ich meine Kommunikation erledige. Und ich wüsste – angesichts von Betreuungsengpässen in der Familie, beruflichen Terminen und Dienstreisen – oft gar nicht mehr, wie es anders gehen sollte. So wie mir geht es vielen: sie wollen über Zeit und Raum der Kommunikation bestimmen, können und wollen sich nicht mehr in starre Zeitkorsette pressen lassen. Eine Entwicklung, die auch vor dem Gesundheitswesen und den Erwartungen an Ärzte nicht Halt macht.

 


 

Patienten wollen auch online mit ihrem Arzt kommunizieren

Im vergangenen Jahr haben wir die Bevölkerung zu ihrer Einstellung zum Thema „Video-Sprechstunden“ befragt. Das zentrale Ergebnis: 45 Prozent würden das Angebot bei ihrem Hausarzt oder Facharzt zumindest gelegentlich nutzen – wenn es dieses denn gäbe. Aussagekräftiger aber als diese eine Zahl waren die Detailergebnisse: Mehr als 80 Prozent würden die Online-Sprechstunde nutzen, um Wartezeiten auf einen Termin zu vermeiden, mehr als 70 Prozent, um ihren Arzt auch zu „unüblichen“ Uhrzeiten zu kontaktieren. 64 Prozent können sich vorstellen, allgemeine Fragen per Telefon zu klären, rund 30 Prozent per Mail oder Video. Auch bei anderen Behandlungsanlässen erhalten „virtuelle“ Kontaktwege hohe Zustimmungswerte.

Kontaktwege und Behandlungsanlässe – Interessen der Bevölkerung (Bertelsmann Stiftung 2015)
Und auch darüber hinaus: Schon jeder zehnte könnte sich vorstellen, auch unklare Beschwerden oder Symptome per Video abzuklären. Genau diese Ergebnisse sind Ausdruck der beschriebenen Entwicklung: Die Kommunikationsgewohnheiten verändern sich mit dem digitalen Wandel. Auch wenn das sicher nicht für jeden einzelnen gilt: Die Menschen wollen online mit ihrem Arzt kommunizieren. Und sie sehen zahlreiche Behandlungsanlässe, bei denen das ginge. Hinzu kommt – und hier sprechen wir über versorgungspolitische Notwendigkeiten: Für viele Menschen, gerade in unterversorgten Gebieten, ist es schlicht schwierig bis unmöglich, ihren Arzt jedes Mal in der Praxis zu besuchen – weil der Weg zum nächsten Facharzt viel zu weit (geworden) ist, weil sie immobil sind, weil sie einen Angehörigen pflegen oder ein Kind betreuen müssen.

Nicht falsch verstehen: Auch die Patienten wollen den Besuch in der Arztpraxis nicht komplett abschaffen. Im Gegeteil: Sie wollen weiter „face-to-face“ mit ihrem Arzt kommunizieren – Video-Konsultationen sind (auch) für sie immer nur eine zusätzliche Option. Und: Sie sehen sehr deutlich die Limitationen. Fast 100 Prozent sagen, dass sie ihren Arzt bei schweren Erkrankungen persönlich sprechen möchten – und erkennen, dass in vielen Fällen eine körperliche Untersuchung zwingend notwendig ist. Aber: Eben nicht in allen.

Video als Kanal funktioniert und hat positive Effekte

Unsere Studie hat – in Form einer internationalen Literaturanalyse und einer Expertenbefragung – auch gezeigt, dass der Kontakt per Video bei vielen Indikationen und Behandlungsanlässen medizinisch gleichwertig ist. Dass gemeinsam vereinbarte Therapieziele besser erreicht werden können und die langfristige Begleitung von chronisch Kranken einfacher möglich ist. Sie hat gezeigt, dass der Kanal funktioniert und Vorteile für Ärzte mit sich bringen kann. Ein zentraler: Durch die Technologie kann Zeit für das Wesentliche gespart werden. Patienten und Ärzte könnten etwa per Video klären, ob ein Praxisbesuch überhaupt nötig ist – die gesparte Zeit könnte anderen Patienten zu Gute kommen. Auch lange Anfahrtswege bei Hausbesuchen lassen sich einsparen: Thomas Aßmann, „TeleArzt“ aus Lindlar, bringt das schön auf den Punkt. Er findet, dass „Ärzte nicht fürs Autofahren bezahlt werden sollten, sondern fürs Behandeln“. Und Eric Topol, Autor des Buchs „The patient will see you now“, fasst das aus US-amerikanischer Perspektive (nicht alles ist 1:1 übertragbar) plakativ so zusammen:

Ärzte sehen den Nutzen noch nicht

Fragt sich, warum es erst so wenige Ärzte gibt, die Video als Kanal zum Patienten einsetzen. Warum fast 2/3 in einer Studie sagen, sie würden diesen nicht oder nur bei gesetzlicher Verpflichtung nutzen. Unsere Expertenbefragung zeigt: Mangelnde Technikaffinität ist ein Grund, rechtliche Bedenken in Bezug auf das Fernbehandlungsverbot sind ein anderer, die bislang fehlende spezifische Vergütung der nächste. Insgesamt fehlt wohl noch der Blick für den Nutzen. Die klassische Frage, so Klaus Strömer, Präsident des BVDD, kürzlich bei einer Tagung: „Warum soll ich eine Videosprechstunde anbieten, der Laden läuft doch!?“

Was passieren müsste

Was bräuchte es also, damit Video-Sprechstunden und andere digitale Kommunikationskanäle in der Arzt-Patienten-Kommunikation Wirklichkeit werden? Die einfache Diagnose: Es braucht mehr Akzeptanz bei Ärzten – und dafür muss etwas getan werden. Mit Blick auf diese Diagnose haben wir im vergangenen Jahr einige Empfehlungen erarbeitet: Praxisnahe Versorgungsforschung ist nötig, um den Nutzen weiter zu belegen – und natürlich auch, um mögliche negative Effekte zu untersuchen. Die Rechtslage muss klarer werden und die Investitionskosten der Ärzte müssen abgefangen werden. Auch in Aus- und Weiterbildung sollte die digitale Kommunikation mit Patienten eine Rolle spielen. Und es lässt sich beobachten, dass etwas passiert: Der BVDD hat sich zusammen mit der Techniker Krankenkasse in einem Pilotprojekt auf den Weg gemacht, die Vergütung von Video-Sprechstunden ist im E-Health-Gesetz angegangen worden und die Ärztekammer Baden-Württemberg hat erst kürzlich Modellvorhaben für reine Fernbehandlung ermöglicht.

Ganz wesentlich ist es aber wohl auch eine kulturelle Frage, ob Ärzte ihren Patienten digitale Kommunikationskanäle anbieten. Eine Frage der Definition des Arzt-Patienten-Verhältnisses. Was wäre, wenn es nicht nur gelänge, den Nutzen von digitalen Technologien in der Kommunikation zwischen Arzt und Patient weiter nachzuweisen und besser aufzuzeigen? Wenn nämlich darüber hinaus künftig der Patient und seine Erwartungen eine bedeutendere Rolle spielen würden? Dann könnte diese eine Aussage schon fast Grund genug sein: Patienten wollen ihren Arzt auch kontaktieren, ohne in die Praxis zu müssen.

Und dann wäre digitale Arzt-Patienten-Kommunikation eine ganz logische Entwicklung. Oder?


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