Vor wenigen Wochen hat der Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages eine Änderung des Arzneimittelgesetzes (AMG-Novelle) gebilligt – nun hat der Bundestag das Gesetz verabschiedet. Die Folge unter anderem: Verschreibungspflichtige Medikamente erhält ein Patient nur noch, wenn er vorher persönlich beim Arzt war. Eine ausschließlich telemedizinische Konsultation, egal ob telefonisch oder online, ist dann nicht mehr ausreichend. Das soll die Versorgungsqualität sichern, verhindert aber digitale Innovationen. Und: Es ist vor allem nicht im Sinne der Patienten, wie unsere aktuelle Bevölkerungsbefragung zeigt.


Fallbeispiel: Anna Schmitt bemerkt am Abend Schmerzen beim Wasserlassen. Sie ahnt bereits: Es bahnt sich wieder ein Harnwegsinfekt an. Am nächsten Morgen hat sie keine Zweifel mehr, denn die Schmerzen kennt sie gut von früheren Infekten. Zum Glück erreicht sie per Online-Chat kurzfristig eine telemedizinische Praxis. Eine kurze Schilderung der Beschwerden und gezielte Fragen des Arztes zum Ausschluss gefährlicher Krankheitsverläufe lassen diesen eine sichere Diagnose stellen: unkomplizierter Harnwegsinfekt. Er verschreibt ein passendes Antibiotikum und übermittelt das Rezept direkt online an seine Patientin. Anna ist froh: Sie kann ihren Infekt nun unmittelbar behandeln – ohne Fahrt zur nächsten Arztpraxis in den Nachbarort und ohne unangenehme Wartezeit im Warteraum.

Dieses fiktive Szenario, in dem der Arzt übrigens leitliniengerecht ohne körperliche Untersuchung und Urinstreifentest behandelt, hätte in naher Zukunft Wirklichkeit werden können – wären nicht die Voraussetzungen dafür nun gesetzlich unterbunden. Denn die Fernverschreibung eines Medikaments ohne persönlichen Arztkontakt soll zukünftig nicht mehr möglich sein, obwohl sie bei bestimmten Behandlungsanlässen eine sinnvolle Maßnahme darstellt.

Experten und Bevölkerung für Erhalt der Möglichkeit zur Fernverschreibung

Bereits das Expertennetzwerk „30 unter 40“ unseres Projekts hatte sich eindeutig für die Möglichkeit der Fernverschreibung von Medikamenten ausgesprochen; forderte dies sogar teilweise ohne Beschränkung auf bestimmte Behandlungsanlässe – und brachte so zum Ausdruck, dass es in der Verantwortung des Mediziners läge, in welchen Situationen er den Patienten persönlich in der Praxis einbestellt.

Nun haben wir auch die Bevölkerung befragt. Eine Mehrheit sagt: Die Verschreibung von Medikamenten soll auch möglich sein, wenn der Arzt nur online oder telefonisch kontaktiert wird. Er solle im Zweifel entscheiden, ob eine persönliche Beratung in der Praxis notwendig sei. Dieser Ansicht stimmten 54 Prozent völlig oder eher zu, nur 44 Prozent stimmten eher nicht oder überhaupt nicht zu. Die Ergebnisse weisen außerdem darauf hin, dass vor allem jüngere Menschen auf die Möglichkeit zur telemedizinischen Medikamentenverschreibung nicht verzichen wollen: Unter den 14- bis 29-Jährigen liegt die Zustimmung sogar bei 72 Prozent.

Verschreibung von Medikamenten: Patienten wollen ihren Arzt auch telefonisch oder online konsultieren können

Unterschiede zeigen die Ergebnisse in Bezug auf die Behandlungs- und Verschreibungssituation: Die Befragten können sich eine Medikamenten-Verschreibung nach telemedizinischem Arztkontakt vor allem dann vorstellen, wenn es um sogenannte Folgerezepte geht – also wenn der Patient ein Medikament bereits regelmäßig einnimmt. Gefragt haben wir nach telemedizinischen Folgerezepten für die Pille zur Schwangerschafts-Verhütung (Zustimmung: 53 Prozent) sowie Blutdruck senkende Medikamente (Zustimmung 50 Prozent).

Die Zustimmung fällt für Erstverschreibungen zurückhaltender aus. Jedoch können sich immerhin 30 Prozent die Verschreibung eines Antibiotikums bei Bronchitis und 42 Prozent die Verschreibung einer rezeptpflichtigen Kortison-Salbe gegen eine Hauterkrankung vorstellen, ohne vorher persönlich einen Arzt aufgesucht zu haben.

Rezept per Telemedizin: Patienten differenzieren zwischen Folgerezepten und Erstverschreibungen

Die Ergebnisse bestätigen: Ein pauschales Verbot von Fernverschreibungen nach einer Online- oder telefonischen Arztkonsultation ist weder im Sinne der Patienten noch sinnvoll in Hinblick auf die Erprobung telemedizinischer Innovationen. Aus diesem Grund äußert auch die Landesärztekammer Baden-Württemberg ihr Bedauern über die Gesetzesänderung – sie hat gerade erst die eigene Berufsordnung gelockert, um in wissenschaftlich evaluierten Modellprojekten ausschließliche Fernbehandlung zu erproben.


Download der Kurzanalyse (PDF):
Telemedizinische Verschreibung von Medikamenten: Ergebnismitteilung zur Bevölkerungsbefragung

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